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Rezension: Felice Picano – Der Köder ****
Das Buch wurde mehrmals aufgelegt. Ich rezensiere die nebenstehend abgebildete Version des Albino Verlags von 1993. Die Cover der anderen Auflagen haben nicht viel mit dem Inhalt des Buches zu tun. Dieses hier paßt noch am ehesten.
Dieses Buch habe ich zum ersten Mal in den Neunzigern gelesen. Aus für mich heute unerfindlichen Gründen habe ich es für mich in die Rubrik »Schwuler Porno« einsortiert und lange Zeit vergessen. In der Retroperspektive erinnere ich mich nur daran, daß ich den Schluß unbefriedigend fand.
In einer Schriftstellergruppe auf Romeo.com fiel mir vor einigen Monaten eine Besprechung dieses Romans auf. Sie bewog mich dazu, mir das Buch noch einmal im Antiquariat zu besorgen.
Beim Lesen fiel mir als erstes auf, daß der Text überraschend gut gealtert ist. Schnauzbärte kommen wieder in Mode und sogar das damalige Schönheitsideal des »Clones« findet heute zahlreiche Fans. Die Parties, auf denen sich unsere Helden tummeln, dürfte es so auch heute noch geben. Lediglich die Discomusik mußte wohl dem Techno weichen.
Zum Inhalt: Noel Cummings (was für ein sprechender Name!) identifiziert sich zu Beginn der Geschichte als hetero, hat seine Frau auf tragische Weise verloren und trauert ihr hinterher. Beim morgendlichen Training wird er Zeuge des Mordes an einem Schwulen. »Abschlachten« trifft es besser. Die Details dieser und späterer Szenen erspare ich Dir.
Noel wird gefangengenommen, unter Druck gesetzt und schließlich von »Whisper«, einer polizeinahen Organisation, angeworben, um einen Killer aufzuspüren, der bereits mehrere Schwule getötet hat. Nachdem man diesen etwas holprigen Einstieg überwunden hat, wird es spannend und lebendig.
Noel wird von seiner Universität, an der er Literatur doziert, überraschend für ein Forschungsjahr freigestellt, um an einem Buch über die homosexuelle Szene New Yorks zu arbeiten. In Wirklichkeit jobbt er abends in einer schwulen Bar und infiltriert die Szene als Lockvogel. Seine Aufzeichnungen für das Buch geraten im Verlauf seiner Ermittlungen zusehends ins Hintertreffen.
Noel ist ein Clone, ein hübscher noch dazu, und sein Kontaktmann bei Whisper hofft, daß der Mörder auf ihn aufmerksam wird, denn die bisherigen Opfer besaßen alle große Ähnlichkeit mit Noel. Er nimmt an rauschenden Parties teil und langsam gerät die heterosexuelle Fassade, die er mühsam vor sich selbst aufrecht hält, ins Bröckeln. Er muß akzeptieren, daß da noch mehr ist und daß er sich Sex nunmehr nicht nur mit Frauen vorstellen kann.
So richtig homosexuell ist im Übrigen keine der Hauptpersonen, was mir auch schon bei anderen Werken von Felice Picano aufgefallen ist. Ein richtiger Schwulenautor ist er nicht. Vielleicht ist es diese kleine Distanz ohne jegliche Wertung, die dem Buch so gut bekommt.
Als Noel schließlich Eric Redfern kennenlernt, dem eine Reihe der Clubs gehören, in denen die Handlung spielt, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Eigentlich ist er hinter dem Topmodel Alana her, die Eric überall hin begleitet. Der Ton zwischen Eric und ihm ist anfangs rauh und von gegenseitiger Aversion geprägt. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen beiden aber eine erotische Anziehung, die vor allem Noel verstört, weil er Eric zu dieser Zeit für den gesuchten Mörder hält.
Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Bereits im Verlauf des dritten Teils tauchen Zwischentöne auf, die in Noel Zweifel an Erics Rolle als Mörder aufkommen lassen. Im Gegenteil ist er Mitglied einer Gruppe Unternehmer, die gemeinsam Lobbyarbeit für homosexuellenfreundlichere Gesetze betreiben. Auch als weitere Personen sterben, die Eric nicht getötet haben kann, verweigert sich sein Kontaktmann bei Whisper den Fakten, die Noel herausfindet, hartnäckig.
Im vierten Teil mutiert der Schwulenkrimi unversehends zum Verschwörungsthriller und auf einmal ist nichts mehr so, wie es in den ersten drei Teilen geschienen hat. Das ist spannend zu lesen. Allerdings wirkt das Finale auf mich konstruiert, so als hätte der Autor nicht recht gewußt, wie er die Geschichte abschließen soll. Auch hier gehe ich nicht ins Detail, denn Du magst die Lösung durchaus logisch finden und es mindert nicht meinen Eindruck, daß »Der Köder« auch heute noch ein lesenswertes Buch ist.
Insbesondere die lebendige Beschreibung der (hauptsächlich) schwulen Szene ohne jeglichen erhobenen Zeigefinger finde ich nicht nur für Literaturhistoriker interessant. Gelegentlich gleitet die Handlung auch ein wenig ins pornographische ab, aber aus heutiger Perspektive lesen sich die Beschreibungen eher harmlos. Wer sich saftige Pornoszenen erhofft, der ist mit meinem Roman »Empath« besser bedient.
Auffälliger finde ich da die starken Parallelen zur Handlung des 1980 erschienenen Romans »Cruising«, der in seiner Verfilmung ein Achtungserfolg für den frühen Al Pacino war. Insgesamt sind das für mich 3,5 Sterne von 5 Sternen, aufgerundet zu 4 Sternen.
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