Gendern in der Belletristik – ja oder nein?
Seit mir vor einigen Jahren von Teilnehmerinnen einer Leserunde zu »Der gefrorene Urknall« vorgeworfen wurde, unter anderem nicht von ‚Studierenden‘ anstelle von ‚Studenten‘ zu schreiben, mußte ich mich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ich meinen Schreibstil gendern will.
Seit meinem ersten Lektorat ist mir klar geworden, wie wichtig präzises Formulieren ist. Zusätzlich soll der fertige Text möglichst wenige Hürden aufstellen, die den Lesefluß behindern.
Gerade bei der oben gezeigten Gendermethode, dem substantivierten Partizip, hadere ich aber damit, daß das Partizip durch seinen Gegenwartsbezug etwas anderes bedeutet als der ersetzte Ausdruck. Würde ich meine belletristischen Texte gendern, reiße ich damit ein neues Loch auf, um ein gefühltes anderes zu schließen:
Beispiel: Wenn ich mir die Verwendung von ‚Forschende‘ – angeblich gleichbedeutend zu ‚Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler‘ –, ansehe, klappen mir jedes Mal die Fußnägel hoch. Bei ‚Forschende‘ denke ich allenfalls an eine Oberstufe im Chemiepraktikum, aber keineswegs an einen seriösen Beruf.
Auch ‚Autofahrende‘, ‚Lehrende‘, ‚Mauernde‘ und ‚Richtende‘ und viele andere dieser substantivierten Partizipien stehen auch für andere Tätigkeiten, als die Personen meinen, die sie verwenden. Lese ich solch einen Text, bleibe ich an dieser Stelle hängen und frage mich, was mir der Verfasser damit sagen will. Passiert das zu oft, vergeht mir die Lust, ihn zu Ende zu lesen.
Diese Art des Genderns geht mir in zu vielen Fällen zu Lasten der Präzision, von der Ästhetik ganz zu schweigen.
Nichtsdestotrotz bleibt ein Rest schlechtes Gewissen und das Gefühl, zwar das Richtige zu tun, ohne es aber vernünftig vor mir selbst und vor anderen begründen zu können.
Ich habe alternativ versucht, mir meine Geschichten mit Sternchen, Schrägstrichen und Binnen-I’s vorzustellen und schnell erkannt, daß ich das in meinen Texten auch nicht lesen will.
Glücklicherweise gibt es elegante Alternativen zu den obigen Formen. Einige davon verwende ich in diesem Beitrag. Schon gefunden?
Mein Anspruch an meine Berufung ist es, mit der Sprache zu arbeiten und aus ihr etwas Schönes zu erschaffen, das andere mit Genuß lesen können. Deshalb gendere ich nicht, setze aber dennoch maßvoll inklusive Sprache ein.
Das ist der schwerere Weg, aber genau deshalb bin ich Schriftsteller geworden. Die deutsche Sprache ist ein so vielfältiges Werkzeug, daß wir für inklusives Schreiben keine neuen Regeln benötigen, wie ich finde.
Zu diesem schweren Weg gehört auch das grammatische (generische) Geschlecht (Kasus). Hier sind nämlich auch nicht binäre Personen mitgemeint.
Der Kasus hat mit dem wirklichen Geschlecht (Sexus) nichts zu tun, ein Punkt, der gern unterschlagen wird, wenn es um die Ächtung des generischen Maskulinums geht. Man kann natürlich einen Zusammenhang konstruieren; ich bezweifle aber, daß dieser Weg seriös sein kann.
Ich wehre mich dagegen, daß in dem Bemühen, es allen und jedem recht zu machen und bloß niemandem auf die Füße zu treten, unsere schöne Sprache zu einem unpräzisen, neutralen Einheitsbrei gemacht wird, den man vielleicht mit Mühe lesen und deuten, aber nur mit sprachlichen Verrenkungen vorlesen kann.
Das war nie die Aufgabe der Literatur. Belletristische Texte bringen die Meinung der Person am hinteren Ende des Füllers scharf und kompromißlos auf den Punkt. Sie lassen Bilder in unserem Geist entstehen, die je nach ihrer Intention verzaubern, verstören oder einfach nur unterhalten.
Die Gefahr, daß ein Text mißgedeutet wird, besteht dabei immer, aber soll ich deswegen aufhören zu schreiben?
Nein!
Der richtige Weg zu einer inklusiven Sprache führt meiner Überzeugung nach, neben der Benutzung obiger Alternativen (Nennung beider Geschlechter, Umschreibung, generisches Femininum etc.) über die Änderung der Wortbedeutung im täglichen Sprachgebrauch und wir sind ihn bereits ein gutes Stück gegangen.
Als bewegter Schwuler hätte ich das wissen können. Das Wort ’schwul‘ gilt heutzutage nämlich nur noch unter manchen Jugendlichen als Schimpfwort. Warum? Weil wir Schwulen das Wort für uns vereinnahmt und es so während der letzten Jahrzehnte als Schimpfwort entwertet haben.
Genau so wird es im Laufe der Zeit auch dem generischen Maskulinum vieler Berufsbezeichnungen ergehen. Gendern beschleunigt diesen Vorgang nicht. Es schafft nur neue Blockaden. Meine Meinung.
Dein Mike
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