Dein Warenkorb ist gerade leer!
Leseprobe aus »Empath«
Table of Contents
Prolog
Betriebsames Leben herrschte auf dem kleinen Festplatz. Das Städtchen nutzte ihn sonst als Parkfläche. Heute standen hier aber keine Autos, deren Besitzer in der nahegelegenen Shopping-Meile einkaufen wollten. Der Platz war vielmehr gefüllt mit Motorrädern jeglicher Bauart und ihren Besitzern.
Stolz präsentierten sie ihre blankgeputzten Maschinen und nicht nur das Chrom der Verkleidungen blinkte und blitzte, auch die Besitzer trugen Festkleidung. Man sah schwere Lederkutten mit großformatigen Aufnähern ihrer Clubs, protzige Armbanduhren und schwere Stulpen mit spitzen Nieten von waffenscheinpflichtiger Länge.
Die Sonne schien mit einer für dieses Frühjahrswochenende ungewöhnlichen Kraft, so daß sich einige Besucher ihrer Schutzkleidung entledigt hatten und sich in engen Tank Tops in mehr oder weniger vorteilhaften Größen der Menge zeigten. Großformatige Werbetafeln und Infostände an den Zugängen wiesen auf das Ereignis hin, das hier gefeiert wurde:
Das jährliche Treffen zum Auftakt der Motorradsaison schlug seit einigen Jahren voll ein. Hunderte Teilnehmer und eine ähnliche Anzahl staunender Besucher sorgten für eine zum Teil drangvolle Enge zwischen den Standplätzen der Maschinen. Von Aprilia und BMW über Harley und Honda bis hin zu Triumph und Yamaha fand sich ein weitgespannter Bogen von mehr oder weniger exklusiven Marken, deren meist männliche Fahrer in der Menge badeten und mit ihren Nachbarn anspruchsvollen Smalltalk über Tuning und luftwiderstandsenkendes Zubehör führten.
Zur erfolgreichen Senkung des Luftwiderstandes hätte man bei vielen Maschinen zunächst bei den Fahrern ansetzen müssen, aber das tat ihrer Lebensfreude keinen Abbruch. Alle freuten sich auf den großen Korso, der in wenigen Stunden von hier aus zu seiner Runde durch die nähere Umgebung starten würde.
Mitten in dieser pulsierenden Menge standen zwei hochgewachsene Männer bei ihren Maschinen. Ohne Zweifel feierten sie mit. Dennoch unterschieden sie sich von ihrer Umgebung. Ihre Maschinen fuhren zwar ebenso schnell wie die ihrer Nachbarn, dennoch wirkten sie im Vergleich eher schlicht. Auch die Lederkombis hatten sicher eine Stange Geld gekostet, beeindruckten aber eher durch schlichtes Schwarz und körperbetonten Schnitt als durch auffällig bunte Streifen, Aufnäher und glänzende Accessoires. Die Sturzhelme standen auf den Tanks ihrer Motorräder. Trotz der wärmenden Sonne hatten sie ihre Reißverschlüsse um keinen einzigen Zentimeter geöffnet und auch ihre Handschuhe trugen sie noch. Lange Stulpenhandschuhe der eine und enge Policegloves der andere.
Ihre ganze Erscheinung wirkte stilvoll, understated und stimmig. In einem schwulen Club hätten die beiden zweifellos eine Menge Fans gefunden. Hier stachen sie aus der Menge heraus, eben dadurch, daß sie nicht herausstachen. Für jemanden, der diese Veranstaltung besuchte, schien es, als wäre es um sie herum ein wenig dunkler. Ihre Nachbarn, die sich lautstark untereinander über ihre PS und die neuesten Modelle unterhielten, blickten durch sie hindurch und es roch hier sogar weniger stark nach verschüttetem Bier, gebratenen Hähnchen und Zigarettenrauch als um sie herum.
Den beiden schien das egal zu sein. Vielleicht hatten sie diese Wirkung sogar beabsichtigt, denn sie besprachen Privates.
»Du willst es also wirklich durchziehen?« fragte der Mann mit den Stulpen. »Na dann Prost!«
Die beiden stießen mit einem Bier an, das sie zuvor von einem Imbißwagen in der Nähe geholt hatten.
»Klar doch. Ein paar Bewerber habe ich schon, die mitmachen wollen. Ein altes Militärgelände haben wir auch und einige Jungs mit militärischer Vorbildung. Ich bin per Zufall auf sie gestoßen, als ich mich vor einem größeren Club im Umland mit den Türstehern unterhalten habe. Zusammen mit ihnen kann ich das Unternehmen etwas größer aufziehen. Sie können nämlich… aber das spielt jetzt keine Rolle.«
»Ein altes Militärgelände? Doch nicht etwa…?« Die Gesichtsfarbe des Mannes mit den Stulpen wurde einen Ton dunkler, als würde sich gerade eine kleine Wolke vor die Sonne schieben.
»Genau dort! Wir werden sozusagen Nachbarn.«
»Ob ich das gut finde, muß ich mir aber noch schwer überlegen.«
»Das schaffst Du!« dröhnte der Mann mit den Policegloves und schlug seinem Gegenüber krachend auf die Schulter.
Die beiden wurden durch diese lautstarke Aktion für einige Sekunden in der Menge sichtbar. Ein über und über tätowierter Endfünfziger blickte zu ihnen herüber. Seine schwere Kutte – etwas anderes trug er nicht über seinem wuchtigen Oberkörper – spannte an unpassenden Stellen, aber das schien ihm egal zu sein. Er lachte laut auf und prostete ihnen zu. Die beiden prosteten zurück. Danach senkte sich die Dunkelheit der Nichtachtung wieder auf sie und die Nachbarn wandten sich ihren eigenen Geschäften zu.
»Eigentlich bin ich extra so weit aufs Land gezogen, damit ich dort meine Ruhe habe. Damit ist es dann jetzt wohl vorbei. Wie ich Dich kenne, hast Du schon alles bis ins kleinste Detail geplant.« sagte der Mann mit den Stulpenhandschuhen.
»Das habe ich tatsächlich. Meine Pläne erfahren aber nur Mitglieder. Willst Du Mitglied werden?«
»Danke, nein.« Wieder schien ein Schatten auf sein Gesicht zu fallen. »Du weißt doch, daß Deine Geschäfte nichts für mich sind. Ich bin mit der Art und Weise zufrieden, wie ich existiere. Außerdem hätte ich Probleme mit eurem Aufnahmeritual.«
»Schade. Du würdest zu uns passen. Du bist verschwiegen und fällst nicht gleich um, wenn man Dich etwas härter anpackt. Für Dich gäbe es einen großen Kreis von Fans. Aber Du hast recht. Man muß es wirklich wollen und selbst das ist keine Garantie, daß alles gutgeht. Läuft das Projekt aber so an, wie ich mir das vorstelle, werden die Kunden bei unseren Mitgliedern Schlange stehen.«
»Viel Erfolg. Das Gelände ist groß genug, wenn ich mich recht erinnere. Ich schulde Dir etwas und helfe natürlich gern, wo ich kann. Ich habe aber einen Beruf, den ich gerne mache und der mich fordert. Und an den Wochenenden brauche ich manchmal einfach nur meine Ruhe. Da ist kein Platz, meine Rolle in einer Gruppe zu finden.«
»Ich gebe Dir jederzeit eine Zelle. Davon gibt es in der Anlage genügend und dort hast Du alle Ruhe, die Du brauchst. Mußt es nur sagen.« Wieder dieses dröhnende Lachen, das die Dunkelheit für einige Sekunden hob. Sie stießen noch einmal an. »Ehe die ersten Kunden kommen, müssen wir aber die Anlage noch herrichten. Dazu kann ich wirklich jede Unterstützung brauchen.«
»Wenn es nur um diese Art Hilfe geht… hm… Jemand muß schließlich die elektrischen Anlagen durchsehen. Der Himmel weiß, in was für einem Zustand die sind. Aber mehr mache ich nicht!«
»Schon gut. Du kriegst so lange einen Sonderstatus. Mach Dir keine Sorgen. Ich regele das. Und ich sorge dafür, daß die anderen Dich in Ruhe arbeiten lassen.«
»Das wäre mir sehr lieb. Ich würde mich auch freuen, wenn Deine Leute später auf ihrem Gelände bleiben. Sonst muß ich einen elektrischen Zaun um mein Grundstück ziehen.«
»Du weißt schon, daß das zwecklos wäre? Wenn einer der Insassen ausbricht, während er… egal, jedenfalls hält ihn dann auch Dein Zaun nicht ab.«
»Dann sorge dafür, daß das nicht passiert, bitte. Es gefällt mir gut in meinem Haus und ich würde nur sehr ungern umziehen.«
»Wie sicher die Zellen werden, liegt ein Stück weit auch an Dir. Jedenfalls, wenn Du uns hilfst. Ich habe im übrigen noch ein anderes, größeres Projekt am Kochen. Pascal verhandelt derzeit mit einem Lieferanten. Danach ist es spruchreif. So, und jetzt muß ich los. Ich will das Teil hier«, er deutete dabei auf sein Motorrad, »heute mal richtig ausfahren.«
»Fahr doch später einfach im Korso mit.«
»Guter Witz. Falls Du wirklich deswegen hier bist, wirst Du ohne mich auskommen müssen. Später dann… ich habe so ein Gefühl, daß nach meiner Ausfahrt in einem Verlies ein kleiner, williger Sklave auf mich wartet.«
»Dann laß ihn mal nicht zu lange warten. Sonst bricht er Dir aus.«
»Alles im Griff.« lachte der Mann mit den Policehandschuhen. »Ich habe das genau berechnet. Er wird übrigens mein Patient Null und das erste Mitglied. Er ist ein Naturtalent.«
Er stieg auf seine Maschine, setzte den Sturzhelm auf, und startete den Motor. Der tiefe, satte Klang ließ auf eine Menge Kubik unter dem Tank schließen. Sein Freund beobachtete, wie er sich langsam seinen Weg durch die Menschen bahnte. Man schien ihn nicht wahrzunehmen, aber dennoch teilten sich die Massen vor ihm. Erst, als er das Ende des Festplatzes erreicht hatte, hörte man ein kurzes, schrilles Aufheulen.
Der Mann mit den Stulpen trank ebenfalls sein Bier aus. Die Unterhaltung schien ihn stärker erregt zu haben, als er es sich im Gespräch hatte anmerken lassen. Mehrmals schüttelte er heftig den Kopf, als müsse er sich selbst von etwas überzeugen. Dann stellte er seinen Becher auf den Boden, stieg auf, startete den Motor und verließ ebenfalls das Treffen.
»Kanntest Du die beiden?« fragte der tätowierte Endfünfziger seinen Kumpan.
»Welche beiden meinste?«
»Na die beiden, die hier bis eben gestanden haben.«
»Bist Du besoffen? Da war niemand!«
Kapitel 1. Paolo
Ein kleines Zimmer in einer Stadtwohnung. Auf den ersten Blick sah es wohnlich aus, beinahe gemütlich. Ein Bett, ein Tisch, zwei kleine Sessel, ein Kleiderschrank, eine dunkel gemusterte Tapete und eine Decke mit Naturholztäfelung. Auf den zweiten Blick sah man Schaukelhaken in der Decke, von denen Ketten aus Eisen herunterhingen. Auch das billige Regal paßte nicht ins Bild. Im untersten Bord standen verschiedene Schuhe und Stiefel. In den Böden darüber befanden sich eine Reihe Utensilien aus Leder und Gummi sowie Flaschen verschiedener Größe mit einschlägigem Inhalt. Ganz oben lagen eine Schirmmütze aus Leder und ein schwarzer Sturzhelm neben einem Paar Handschuhe.
Gut, auch das fällt für viele von uns unter den Status ‘gemütlich’, so auch für den Bewohner dieser Kammer. Er hieß Paolo Costa und lag gerade nackt auf seinem Bett. Die Augenlider hatte er halb geöffnet. Darunter erblickte man aber nur das Weiße, so daß er etwas weggetreten aussah. Seine Hände zitterten und die Finger der einen Hand bewegten sich, als würde er Geld zählen. Auf der Stirn standen kleine Schweißperlen und er atmete flach und schnell.
Ob er nun Fieber hatte oder nur schlecht träumte, das ließ sich auf den ersten Blick nicht feststellen. Jedenfalls gewann er allmählich die Kontrolle über seinen Körper zurück. Einige Stunden lag er nun schon hilflos hier, aber was auch immer ihn in diesen Zustand versetzt hatte, schien jetzt seine Wirkung zu verlieren.
Nur seine Gedanken schweiften noch durch die Gegend. Er befand sich in den umliegenden Straßen, lief über Bürgersteige, schwebte durch Wände und betrat Zimmer. Ziellos ging er umher und überall sah er sich um. Es wirkte, als würde er etwas oder jemanden suchen. Er begegnete unterwegs vielen Menschen. Er konnte sie sehen, aber sie blickten durch ihn hindurch. Schließlich befand er sich nicht körperlich vor Ort.
Wenn sie ihn aber sehen könnten, würden sich viele nach ihm umdrehen, auch ohne, daß er Kontakt aufnahm. Das wußte er. Die wenigen Menschen, die ihn bisher zu Gesicht bekommen hatten, hielten ihn für einen gutaussehenden jungen Mann, der auf seinen Körper achtgab und ihn in Form hielt. Davon zeugten die definierten Muskeln, die sich unter der makellosen, tief gebräunten Haut abzeichneten.
Die pechschwarzen Haare trug er zu einem Flat Top geschoren. In Verbindung mit seinen regelmäßigen Gesichtszügen und dem markanten Kinn wirkte das beinahe militärisch, so militärisch, wie ein nackter Menn eben aussehen kann. Nur seine Körpergröße harmonierte nicht mit seiner mediterranen Erscheinung. Er maß Einsneunzig und paßte daher nur geradeso in das Bett, auf dem er lag.
Paolo fühlte, wie seine Gedanken sich allmählich wieder ordneten. Das Adrenalin, das bis eben durch sein Blut pulsierte, verlor seine Wirkung. Er wanderte weiter mit seinen Gedanken durch die Stadt. Er spazierte durch abendliche Parkanlagen. Dort, wo das Licht der tiefstehenden Sonne nicht mehr hin schien, ging er auf schmalen Trampelpfaden durch die Büsche. Von Zeit zu Zeit tauchte ein Mann aus den Schatten auf. Sie standen dort unentschlossen, als würden sie auf jemanden warten. Paolo kannte diese Gegend von seinen eigenen Ausflügen gut. Hier trafen sich Männer mit anderen Männern für schnellen Sex. Früher hatte er an solchen Orten gewartet. Heute taten das andere.
Paolo machte sich einen Spaß daraus, Kontakt zu einem jungen Parkbesucher aufzunehmen. Er schmiegte seinen Geist eng an dessen Körper. Der Mann wußte nicht, wie ihm geschah, denn er konnte ja nicht sehen, wer sich da mit ihm beschäftigte.
‘Schließ die Augen!’ befahl ihm Paolo. ‘Mach Deine Hose auf!’ Ohne Widerstand gehorchte ihm der junge Mann…
von
Schlagwörter:
Kommentar verfassen