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Mike Gorden: Der gefrorene Urknall (Cover)
Leseprobe aus »Der gefrorene Urknall« 2

Leseprobe aus »Der gefrorene Urknall«

Prolog (30.09.2016)

Sah man sich das CERN auf dem Stadtplan an, so erschien es wie ein eigener Stadtteil von Genf. Die Route de Meyrin teilte das Gelände in zwei unterschiedlich große Teile. Auf dem kleineren Teil befanden sich die Gebäude des ATLAS Experiments. Unter ihnen, in 100 m Tiefe, verlief ein Teil des 27 km langen Ringes, in dem Atomteilchen auf beinahe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden. In einer großen Halle zeichneten dort Myriaden von Detektoren akribisch jedes Zerfallsereignis auf, dessen sie habhaft werden konnten.

Es gab mehrere dieser Experimente, die über den Verlauf des Beschleunigerrings verstreut lagen. Insgesamt arbeiteten mehrere tausend Personen hier im Grenzbereich zwischen der Schweiz und Frankreich.
Stefano Magnone beging heute seinen letzten Arbeitstag. Die Ereignisse dieses Jahres hatten ihm zugesetzt. Ein fehlgeschlagenes Experiment schlug unabsichtlich eine kleine Pforte in ein Paralleluniversum, in dem alles aus Antimaterie bestand. Dieses Loch im Universum verursachte einen schrecklichen Unfall. Seine Folgen konnte man auch heute spüren, denn der Forschungsbetrieb in der Anlage lief immer noch nicht wieder in normalen Bahnen.

Sein Körper zeigte ihm mittlerweile deutlich, daß er ihn nicht mehr so belasten konnte wie früher. Der Streß in der Zeit, als sie noch einen neuen Antimaterieausbruch befürchten mußten, führte bei ihm zu einer permanenten Magenreizung, die er nur durch intensive ärztliche Behandlung im Griff behielt. So nahm er nach einigem Zögern das Angebot des Instituts an, sich frühverrenten zu lassen. Zudem bot man ihm für sein Ausscheiden eine überraschend hohe Abfindung.

Mike Gorden Der gefrorene Urknall
Mike Gorden Der gefrorene Urknall

Ein wenig wunderte er sich, wo das CERN so viel Geld hernahm, aber letzten Endes konnte ihm das auch egal sein. Er hatte Freunde und eine Familie, die ihn viel zu selten sahen und die geradezu begeistert waren, daß er ab nächster Woche zu Hause bleiben durfte. Außerdem lief die Zusammenarbeit mit Dr. Lies, der mittlerweile vom Leiter der Anlage zum Institutsdirektor aufgestiegen war, nach wie vor nicht sonderlich gut.

Er behandelte ihn zwar meistens ausgesucht höflich. Unter der Oberfläche blieb er aber das gleiche Ekel, als das er sich nach dem Ausfall der Institutsleiterin vor einigen Monaten erwiesen hatte. Stefanos Albträume verschwanden mit dem Erlöschen der Dimensionspforte im Detektor wieder, aber wer wußte schon, wie lange das anhielt, sobald Lies das Arbeitstempo wieder anzog.

Nur seine Mitarbeiter taten ihm leid. Er hatte ihnen durch seine unangreifbare Position das Leben etwas leichter machen können. Das fiel jetzt weg. Zum Glück hatte sich ausgerechnet Aurel Favre in den letzten Monaten sehr positiv entwickelt. Er würde nach ihm den Posten des technischen Leiters einnehmen und Stefano konnte sich keine bessere Besetzung vorstellen. Die Erlebnisse, die zu Favres Zusammenbruch geführt hatten, waren vergessen. Er kam jetzt mit allen gut aus, auch mit Dr. Lies, und sein sensationelles Gespür für die Befindlichkeiten des Maschinenparks, der hier unten in der Detektorkammer lief, hatte sich nicht geändert.

Ihm gegenüber saßen gerade Urs, Francine und Jacques. Sie vier waren seit Jahren ein gut eingespieltes Team und verstanden sich auch ohne viele Worte. Sie tranken schweigend ihren Kaffee. Auf dem Tisch stand ein Käsekuchen, den Francine gebacken hatte. Daneben befanden sich ein kleiner Stapel Teller und ein Becher mit Kuchengabeln.

»Wo bleibt Aurel?« brach Jacques das Schweigen. »Ich habe mir extra das Mittagessen verkniffen, als ich gehört habe, daß Du Käsekuchen mitbringst. Jetzt habe ich Hunger.«

»Halte durch«, sagte Francine und fügte mit einem Blick auf sein deutlich spannendes Jackett hinzu: »Du wirst schon bis dahin nicht verhungern.«

Favre kam nach wenigen Minuten mit einem Schreibblock unter dem Arm an, entschuldigte sich fahrig für die Verspätung und setzte sich zu den anderen. Francine schnitt Stücke von ihrem Kuchen ab und verteilte sie in der Runde, bis jeder einen gefüllten Teller vor sich stehen hatte.

»Laßt es euch schmecken«, sagte sie schließlich. »Ich finde es jammerschade, daß Du in Rente gehst, Stefano, aber ich wüßte auch niemanden, der es mehr verdient hätte als Du.« Die anderen nickten und langten zu.

»Danke euch allen«, antwortete der geschmeichelt. »Ich werde das hier vermissen. Auch wenn ich mich zu Hause sicher keine Minute langweilen werde. Wir haben noch viel vor. Eine längere Reise zum Beispiel.«

»Ich kann Dir gar nicht sagen, wie ich euch beneide«, sagte Favre.

»Und ich erst«, ergänzte Francine. »Sag mal, Aurel, ist etwas nicht in Ordnung mit Dir? Du hast seit einigen Tagen rote Augen. Eine Allergie?«

»Es ist nichts. Ich habe schlecht geschlafen. Du hast sicher auch schon die große Einkaufsliste für nächsten Monat bekommen?« Francine nickte.

»Bin ich froh, daß ich mich damit nicht mehr befassen muß«, sagte Stefano. »Mein Internist meinte letzten Monat, daß ich kurz vor einem Magengeschwür stünde und in Zukunft unbedingt ruhiger leben muß. Ich will gar nicht mehr wissen, was Dr. Lies für die nächste Zeit alles plant.«

»Dr. Lies plant in der Tat einiges«, klang es von der Zimmertüre. »Aber es stimmt, daß Sie sich damit nicht mehr belasten müssen, Dr. Magnone. Die Meßwerte im Detektor sind wieder normal und wir können endlich auch im ATLAS neue Experimente durchführen. Natürlich unter Berücksichtigung der Ereignisse des Frühjahrs und mit aller gebührenden Vorsicht.«

Lies trat ein und trug eine Magnumflasche Champagner mit sich, die er mit einem Schwung auf den Tisch stellte, daß die Löffel auf den Untertassen leise klirrten.

»Wir haben doch sicher Gläser hier?« fragte er in die Runde. »Heute wollen wir unseren Monsieur Magnone noch einmal hochleben lassen.«

Urs stand auf und holte sechs Gläser aus der benachbarten Küche. Lies öffnete die Magnum und füllte die Gläser mit ungeahnter Professionalität, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.

»Zum Wohl«, sagte er, nachdem sie alle angestoßen hatten. »Auf unseren lieben Dr. Magnone, der uns leider verlassen muß. Heute ist Ihr Tag. Genießen Sie ihn!«

Kaum hatten sie angestoßen, hatte er es aber auch schon wieder eilig. »Ich würde gerne noch ein wenig hierbleiben, aber ich muß jetzt zu einer Telefonkonferenz mit einer Investorengruppe. Sie verstehen das doch sicher«, sagte er augenzwinkernd in die Runde und verschwand so lautlos, wie er gekommen war.

Alle saßen verblüfft und wortlos zusammen, bis Francine das Wort ergriff: »Kann es sein, daß er sich wirklich geändert hat?«

»So fröhlich und aufgeräumt wie heute habe ich ihn noch nie gesehen«, fügte Jacques hinzu.

»Vielleicht hat er eingesehen, daß man ein Institut nicht als Alleinherrscher führen kann und gibt sich Mühe.«

»Vielleicht hat er auch nur Kreide gefressen«, sagte Urs.

Der Champagner schmeckte allen. Lies hatte sich nicht lumpen lassen und so hielt die Flasche nicht lange vor. Stefano konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann er zuletzt im Institut so fröhlich gewesen war.

Leicht angeheitert löste sich die Runde nach einer Weile auf. »Leute, ihr wißt, daß ihr viel mehr für mich seid als nur Teamkollegen. Ihr seid über die Jahre meine Freunde geworden. Du auch, Aurel!« sagte er einem sichtlich überraschten Favre. »Darum fällt es mir auch wirklich schwer, zu gehen. Aber es muß sein. Es war eine schöne Zeit mit euch, aber ich habe jetzt einen neuen Lebensabschnitt vor mir, auf den ich mich freue. Ich hoffe, daß wir uns bald einmal wiedersehen.«

Beifälliges Nicken in der Runde zeigte ihm, daß er allen aus der Seele gesprochen hatte. Stefano umarmte jeden einzelnen zum Abschied herzlich und verließ danach beschwingt den Raum. Er fuhr zum letzten Mal mit dem Aufzug nach oben, spazierte durch die Halle, nickte den Wachmännern zu und ging über den Parkplatz zu seinem Wagen.
»Francine, meinst Du, ich darf noch ein Stückchen von Deinem Käsekuchen essen?« fragte Jacques unten.

Kapitel 1. Mike (01.01.2017)

Mike Peters stand vor einem Abzug, in dem sein Experiment lief. Die Vorbereitungen dafür kosteten ihn den ganzen Vormittag und so hatten sie bereits Nachmittag, als er den Temperaturregler des Heizpilzes endlich hochdrehen konnte. Er kochte einen Grignard und wartete, daß der ansprang. Aber die Magnesiumspäne glänzten und glitzerten nur im Schein des Halogenstrahlers und machten keine Anstalten, sich mit dem Reagenz zu verbinden.

Er schwitzte. Etwas stimmte mit der Klimaanlage nicht. Er schob in Gedanken seine Schutzbrille nach oben, damit sie nicht von innen beschlug und stellte den Magnetrührer eine Stufe höher. Die einzelnen Späne konnte er jetzt kaum noch erkennen. Die ganze Flüssigkeit glänzte, als handele es sich um Quecksilber. Der Rotationstrichter in der Mitte des Kolbens vertiefte sich. Kein Erfolg.

Er erinnerte sich an eine Aphorismensammlung, die im Fachbereich kursierte. Ein kleines Büchlein mit Sprüchen der Professoren, die ein Assistent zusammengetragen hatte und die für jeden Problemfall Aufmunterung versprachen. ‘Ob ein Grignard anspringt oder nicht, das hängt gelegentlich auch vom Stand der Gestirne ab.’ stand dort zu seinem Problem geschrieben. ‘Vielleicht stehen die Gestirne heute ja falsch’, dachte Mike sich und drehte den Temperaturregler des Heizpilzes weiter nach oben.

»Schon wieder ohne Schutzbrille?« erklang eine spöttische Stimme hinter ihm. Mike fuhr zusammen und erblickte Lies, einen der Postdocs, die das Drittsemesterpraktikum im Auftrag eines Organik-Professors durchführten. »Arbeite doch wenigstens hinter der Schutzscheibe!« sagte er, und zog eine in den Abzug eingebaute Plexiglasscheibe nach unten, bis sie sich zwischen Mike und seinem Experiment befand. »So geht das!«

Mike zog die Brille schuldbewußt wieder ins Gesicht. »Wenn Du weiter so herumschleichst und Leute erschreckst, passiert eines Tages wirklich genau der Unfall, den Du mit Deiner Warnung vermeiden willst.«

»Ich bin hier bald weg. Ich habe gerade eine Zusage bekommen. Nächsten Monat fahre ich in die Schweiz. Du aber befindest Dich erst am Anfang Deines Studiums und wenn Du nicht lernst, die Regeln zu befolgen, wirst Du nicht weit kommen.«

Mike hörte ein leise Zischen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Grignard. Leider zu spät, denn der war nun doch noch angesprungen. Aufgrund der höheren Temperatur allerdings viel zu schnell. Die Reaktionsflüssigkeit hing zusammen mit einigen, verbliebenen Magnesiumspänen in den Schlangen des Rückflußkühlers und in der Vorlage, in der sich eigentlich nur das spätere Reaktionsprodukt hätte sammeln sollen. Er hatte heute also umsonst gearbeitet. Morgen würde er einen neuen Ansatz starten müssen, um das Praktikum erfolgreich zu absolvieren. Vorher mußte er alles putzen und trocknen. Sorgfältig und lange.

»Danke!« sagte er frustriert und drehte sich wieder um. Lies hatte sich aber schon wieder entfernt. Genauso lautlos, wie er plötzlich hinter ihm gestanden hatte.

Mike erwachte und rieb sich die Augen. Ein gräulicher Lichtbrei drang durch die dicht geschlossenen Vorhänge. Draußen mußte bereits heller Tag sein. Es dauerte ein wenig, bis er erkannte, daß er zu Hause in seinem Bett lag. Gelegentlich suchten ihn immer noch diese Erinnerungsschübe heim.

Es handelte sich dabei um Nachwirkungen eines nicht dreidimensionalen Panoramas, das er sich vor gut einem halben Jahr angesehen hatte und dessen verstörenden Anblick seine Gehirnzellen nur mittelgut vertragen hatten. Von Zeit zu Zeit rächten sie sich bei ihm und schickten ihm Erinnerungen an unangenehme Situationen, von denen er gehofft hatte, sie niemals wieder erleben zu müssen.

In den letzten Monaten kamen diese Schübe seltener, so daß ihn dieser jetzt kalt erwischt hatte. Bestimmt war die Silvesterparty im Cox am vergangenen Abend schuld. Es ging hoch her und sie alle hatten den Abend über einiges getrunken. Der Mitternachtschampagner aufs Haus vertrug sich nicht gut mit den Bieren, die Mike bis dahin trank.

Danach zogen sie um die Häuser. Er erinnerte sich, daß er sehr eng mit einer Dragqueen tanzte, die ihn auf ihren Highheels um gut einen Kopf überragte, obwohl er wirklich nicht klein war. Hatte er Martin und Marie wirklich Hand in Hand an der Tanzfläche gesehen? Er bedauerte, daß Maurice sich von dieser Art Veranstaltungen immer fernhielt. Er tanzte viel lieber mit ihm.

Mehrere Nummern später ertönten die ersten Klänge von ‘Salma Ya Salama’ und einige arabisch kostümierte Go-Go-Tänzer stürmten die Bühne über der Tanzfläche. Die Stimmung im Club war am Überkochen und Mike verausgabte sich beim Tanz völlig.

Dann stand plötzlich dieser zartgliedrige, verhuschte Junge vor ihm. Mike erinnerte sich gut. Es handelte sich bei Gilles eigentlich um einen Bekannten von Maurice. Er arbeitete in der IT der Polizei und sie kannten sich vom Sehen. Offiziell bekam er erst mit ihm zu tun, als er Sébastien Girouds Notebook aus der Forensik abgeholt hatte.

Bei Sébastien hatte es sich um seinen engsten und eigentlich einzigen Freund gehandelt. Sie kannten sich aus ihrer Studienzeit. Er wurde im vergangenen Jahr ermordet und sein Tod nahm Mike sehr mit. Im Zuge der polizeilichen Untersuchungen geriet er kurzzeitig ins Visier der Ermittler und lernte dabei Maurice kennen. Sébastien hatte Mike zum Vollstrecker seines digitalen Testaments eingesetzt, so daß er nach Abschluß der Untersuchungen sein persönliches Notebook erhielt.

Mike flirtete beim Abholen des Geräts ein wenig mit Gilles und der hatte ihm daraufhin seine Handynummer zugesteckt. Danach telefonierten sie einige Male. Eigentlich fand Mike ihn zu schüchtern und eher ein bißchen langweilig. Gestern abend war Gilles aber wie ausgewechselt, redete wie ein Wasserfall und wich ihm nicht von der Seite.

Und jetzt hatten sie Neujahr und er konnte ausschlafen. Sie konnten ausschlafen. Mike drehte sich noch einmal im Bett um und umarmte den Körper, der neben ihm schlief. »Guten Morgen Gilles«, sagte er zärtlich. »Ein frohes neues Jahr!«

Kapitel 2. Martin (02.01.2017)

Die Dunkelheit draußen begann gerade, einem kraftlosen Grau zu weichen, das die Umgebung mehr zukleisterte als erhellte. Martin Moser ging durch die Redaktion des ‘Magazine de la Science’, einer populärwissenschaftlichen Monatszeitschrift, und leerte die kleinen Papierkörbe an den Arbeitsplätzen in einen großen Müllsack. Die Putzkolonne hatte es in der Nacht wohl besonders eilig gehabt. Als ausgesprochener Morgenmensch entfaltete er seine größte Produktivität, wenn er allein war. Deshalb begann er seinen Tag gerne vor allen anderen.

Er hatte unlängst eine halbe Stelle bekommen und arbeitete jetzt als Schnittstelle zwischen dem ‘Magazine’ und einer Reihe von Forschern. Klotho Papantoniou, die Leiterin einer geheimen Organisation von Wissenschaftlern mit dem erklärten Ziel, die Menschheit vor sich selbst zu schützen, löste damit ein Versprechen ein, das sie im letzten Jahr Mike Peters, seinem Chef gegeben hatte.

Sein Team und Moíra, so hieß die Organisation, hatten mit vereinten Kräften einen katastrophalen Unfall am Large Hadron Collider im CERN verhindern können.Mike Peters hatte dadurch eine Art Vertrauensstatus für diese Organisation erlangt und erhielt von Zeit zu Zeit Informationen über sensible Forschungen.

Nicht alle dieser Forschungen führten auch zu Artikeln, die es bis in die Printversion schafften. Einiges hielt man für zu komplex für die Leser des ‘Magazine’, und plazierte sie in speziellen Fachmagazinen. Andere Themen erwiesen sich als zu brisant, um sie gleich zu veröffentlichen. Unterm Strich konnten sie aber genügend publizieren, um die Verlagsleitung bei Laune und seinen Arbeitsplatz sicher zu halten.

Martin hatte die Aufgabe, diese Kontakte zu koordinieren. Viele dieser Wissenschaftler lebten in Ländern, die die Freiheit der Forschung einschränkten. Wenn sie sich am wissenschaftlichen Diskurs in ihren Fachgebieten beteiligen wollten, konnten sie das nicht auf öffentlichen Wegen tun. Martin schrieb viele Mails, warb um Vertrauen, stellte anonyme Postfächer bereit, organisierte verschlüsselten Speicherplatz auf den Servern von Moíra, auf dem die Forscher ihre Arbeiten ablegen und sich austauschen konnten und hielt Mike über die Ergebnisse auf dem Laufenden.

Er hatte jetzt Zeit und Geld, um ein wenig Sport zu treiben, und wirkte wesentlich reifer und erwachsener als früher. Seine Haut war reiner und man hatte ihn sogar schon einmal laut lachen gehört. Schüchtern verhielt er sich immer noch, aber innerhalb des Redaktionsteams galt er als vollwertiger Mitarbeiter und alle erkannten seine Leistungen an.

Marie Bouesnard erschien im Eingang des Großraumbüros, in dem sich ihre Arbeitsplätze befanden. Sie trug eine große Einkaufstasche und schien etwas außer Atem zu sein. Ihr sonst immer perfektes Makeup konnte selbst nach einem Tag die Spuren der Neujahrsnacht nicht ganz verdecken. Am Silvesterabend unternahmen sie alle mit Mike und einigen seiner Freunde im Marais etwas und draußen wurde es bereits hell, als er wieder nach Hause kam.

Martin und Marie kamen sich in den letzten Monaten näher. Ihr berufliches Verhältnis hatte sich zu einer engen Freundschaft gewandelt. Martin glaubte sich zu erinnern, daß sie frühmorgens sehr eng miteinander getanzt hatten. Vielleicht handelte es sich dabei aber auch um Wunschdenken, denn über die letzten Stunden der Nacht hatte der Alkohol einen Schleier des Vergessens gezogen.

»Coucou Martin!« rief sie ihm fröhlich entgegen. »Ist sonst schon jemand da?«

»Salut Marie«, antwortete Martin im gleichen Tonfall, der ihm immer noch schwerfiel. »Wir sind die ersten. Wie immer.«

»Sehr gut. Ich habe nämlich Croissants eingekauft und möchte sie unauffällig in Mikes Büro aufbauen.«

»Eine gute Idee!« sagte Martin erfreut und Marie verschwand im Büro.

»Bring schon mal die Kaffeemaschine zum Laufen«, rief sie ihm durch die halb geöffnete Tür zu.

Er folgte ihrer Bitte. Den Job machte er sogar besonders gerne. Die Verlagsleitung hatte dem Büro nämlich zu Weihnachten einen Kaffeevollautomaten spendiert, der sich auf dem heutigen Stand der Technik befand und seinen Namen verdiente. Chromglänzend stand er auf der Arbeitsfläche der Büroküche und war darauf programmiert, auf Knopfdruck etwa ein Dutzend Kaffee-, Tee- und Kakaospezialitäten zuzubereiten. Kein Vergleich zu der bitteren, schwarzen Brühe, die sein vorsintflutlicher Vorgänger in Plastikbecher ausgespien hatte.

Er schaltete die Maschine ein und beobachtete fasziniert die vielen Blinklichter, die nacheinander aufleuchteten, während sich die Maschine aufheizte. Er drehte den Wasserhahn wieder auf und kontrollierte den Füllstand der Kaffeebohnen, die jetzt für jeden Becher frisch gemahlen wurden. Eigentlich wäre das Aufgabe der Praktikanten gewesen, aber Martin störte sich nicht daran.

Vor gar nicht so langer Zeit war er selbst noch einer gewesen. Daß er heute nicht wieder auf der Straße stand, wie seine damaligen Praktikumsgenossen, verdankte er nur einer Reihe von Zufällen und seinen Beziehungen zu einer Gruppe von Hackern. Nur mit ihrer Hilfe hatten sie bei der großen Krise am CERN im vergangenen Jahr in die dortigen Systeme eindringen und einen vorzeitigen Neustart des Beschleunigers unterbinden können.

Die nächsten Gesichter erschienen zwischen den Schreibtischen. Auch die anderen Bereiche der Redaktion kamen jetzt zur Arbeit, die meisten mehr oder weniger verkatert von den vergangenen Feierlichkeiten. Beatrice Rousseau aus der Archäologie trug eine überdimensionale Sonnenbrille und bemühte sich, von möglichst wenigen Leuten gesehen zu werden. Als Marie ihr ein lautes »Coucou, ma Chérie! Gehen wir heute als Elton John?« entgegenschmetterte, zuckte sie gequält zusammen und verschwand mit verblüffender Geschwindigkeit hinter ihrem Rechner.

Zwei Personen schienen neu hier zu sein. Sie standen einige Zeit unsicher im Eingangsbereich herum. Martin erkannte sie als die beiden neuen Praktikanten, die heute ihren ersten Arbeitstag hatten. Er ging auf sie zu.

»Willkommen im Team!« begrüßte er sie. Er führte die beiden, die sich ihm als Guillaume Garçon und Emil Rotik vorstellten, zu ihren neuen Arbeitsplätzen und wies sie ein.

Guillaume wirkte ein wenig zappelig und nervös, was auch seinem hageren Körperbau und den langen Gliedmaßen geschuldet war. Martin beschäftigte sich zuerst mit ihm. Er stellte ihm beiläufig einige technische Fragen und die Antworten stellten ihn zufrieden.

»Ich will etwas mit IT studieren, hab aber in diesem Jahr keinen Studienplatz bekommen«, sagte er, als er seinen Rechner hochfuhr. Martin konnte von oben auf seinen Kopf sehen und war für einen Moment fasziniert von den blonden Haaren, die so hell aussahen, daß sie fast transparent wirkten und man meinte, durch sie hindurch auf seine Kopfhaut blicken zu können.

»Du wirst sehen, daß Du hier etwas nützliches mit Deiner Zeit anfangen kannst«, antwortete er. »Unser Netzwerk ist nicht ganz unkompliziert und Leute, die zwischendurch auch mal ein paar Zeilen Code schreiben können sind bei uns besonders willkommen.«

Guillaume selbst stellte auch Fragen zur Struktur des Netzwerks in der Redaktion. Er wirkte auf Martin wach und interessiert und war nicht auf den Mund gefallen. Er würde sich bestimmt nützlich machen können.

Kleiner und kompakter stand Emil neben ihm. »Ich stamme aus Brno«, sagte er und rollte das ‘r’ dabei so, daß Martin keinerlei Zweifel an seiner tschechischen Herkunft hatte.

»Ich bin eigentlich Grafiker, auch kein schlechter, aber ich gehöre nun mal zur … wie sagt ihr … ‘Generation Praktikum’?«

Da jetzt auch Mike auftauchte, nahm Martin sie gleich mit in dessen Büro. »Was auch immer ihr hört, redet ihn bitte immer mit ‘Mike’ an, niemals mit ‘Michel’, wenn euch euer Leben lieb ist«, sagte er unterwegs halb im Scherz zu den beiden. Mike redete nie darüber, warum er seinen wirklichen Vornamen nicht mochte, aber er reagierte meist ziemlich humorlos, wenn man ihn so nannte. Martin geriet vor einiger Zeit auf diese Art auch einmal in seine Schußlinie und erinnerte sich nicht gerne an diesen Abend.

Mike holte aus dem kleinen Kühlschrank, den sie im letzten Jahr gekauft hatten, zwei Flaschen Champagner. Passende Gläser dafür gab es nicht und so mußten sie sich mit dem Restbestand Plastikbecher aus dem alten Kaffeeautomaten behelfen. Das störte aber niemanden.

Nachdem er den Champagner eingegossen hatte und sich alle ein frohes neues Jahr wünschten, hielt Mike eine kleine Begrüßungsansprache und bezog die beiden neuen Praktikanten gleich mit ein, die zu Beginn noch etwas verloren in einer Ecke standen.

»Ihr seid hier zunächst nur auf Zeit«, sagte er zu ihnen. »Aber während dieser Zeit seid ihr Teil eines Teams. Ein Team, dessen Aufgabe es ist, jeden Monat einige spannende und gut recherchierte Artikel für das ‘Magazine’ beizusteuern. Jeder von uns hat besondere Fähigkeiten, aber nur gemeinsam schaffen wir es, ein konstant gutes Ergebnis abzuliefern.«

Guillaume und Emil nickten. »Ihr werdet euch in den nächsten Tagen in der Gruppe umsehen. Zusammen werden wir herausfinden, wo und wie ihr euch am besten einbringen könnt. Danach werdet ihr einem von uns zugeteilt. Wenn es euch hier gefällt, wenn ihr gut seid und euch unentbehrlich macht … fragt Martin. Der hat es geschafft.«

Martin fühlte sich plötzlich unwohl. Als Vorbild fand er sich nicht sonderlich geeignet und er hätte sich jetzt am liebsten hinter seinen Rechner zurückgezogen. Aber Mike sagte die Wahrheit. Er hatte sich hier wirklich unentbehrlich gemacht und dabei gelernt, Verantwortung zu übernehmen.

»Sieht so aus, als hättest Du die beiden in den nächsten Tagen an der Backe«, neckte ihn Marie, als sie wahrnahm, daß die beiden Neuen ihre Aufmerksamkeit nun auf ihn fokussierten.

»Keine Sorge, wir lassen Dich nicht hängen«, sagte Mike freundlich. »Finde einfach heraus, was die Jungs können und reiche sie dann einem von uns weiter. Martha, unsere Bildredakteurin«, Mike blickte dabei auf eine rundliche, farbige Dame, die in der Runde saß, »beklagt sich beispielsweise seit Monaten, daß ihr die Bildrecherche zu viel wird, seit unsere Produktivität im letzten Jahr so gestiegen ist.«

Martha nickte eifrig. »So, und nun langt zu. Marie, Du hast uns einen prima Start ins neue Jahr verschafft. Das werden wir Dir nicht vergessen!«

»Ich werde Dich dran erinnern, wenn ich hier das nächste Mal am Wochenende auflaufen muß, mon cher Michel«, kicherte Marie und Mike seufzte.

»Also ich finde, Michel ist ein schöner Name«, sagte Guillaume. »Meine Maman war ja so fantasielos!« Er stockte abrupt, als ihm das eisige Schweigen in der Gruppe auffiel. Dann schlug er sich dramatisch die Hände vors Gesicht.

»Oh, mon dieu! Ich muß mal eben … für kleine Königstiger«, hörten sie noch. Dann klappte die Bürotür hinter ihm.

»Ich habe das Gefühl, hier sind Homosexuelle im Saal.« Mit dieser Bemerkung rettete Marie die Situation und alles löste sich in fröhlichem Gelächter auf.

»Womit das geklärt wäre.« Selbst Mike mußte lachen.

»War ich damals auch so leicht zu durchschauen?« fragte er später im Gedanken an seinen eigenen ersten Tag in dieser Gruppe.

»Viel leichter.« Marie legte verschwörerisch einen Finger über ihre Lippen.

»Ich muß an mir arbeiten.«

Kapitel 3. Maurice (02.01.2017)

Maurice saß in einer Shishabar in Saint Denis und trank einen gewürzten Tee. Die Bar lag nur einige Straßen entfernt von dem Viertel, in dem er aufgewachsen war. Draußen gingen gerade die Laternen an. Der Barmann hatte das Licht gedimmt, so daß man trotz des Dunstes im Laden durch die großen Fensterfronten die Straße beobachten konnte.

Die Straßenlaternen offenbarten ihm ein ödes Panorama. Nur wenige Leute – meist handelte es sich um Männer – trauten sich bei Dunkelheit noch auf die Straße. Bei den Hochhausblöcken auf der anderen Straßenseite hatte es sich früher einmal um zeitgemäße und moderne Wohnanlagen gehandelt. Nach einigen Jahrzehnten ohne jegliche Renovierung verströmten die Plattenbauten mit ihren winzigen Appartementzellen aber einen eher morbiden Charme.

Die meisten trugen auf ihrem Balkon eine Satellitenschüssel, so daß im Halbdunkel der Laternen und der Lichter in den Fenstern der Eindruck entstand, als wären die ganzen Blöcke über und über von einem monströsen Pilz überwuchert.
Maurice besuchte diesen Laden heute nicht wegen des Ausblicks.

Ihm gegenüber saß Tahir Habib, ein Bekannter aus den Jahren, in denen er hier noch gelebt hatte. Tahir sah auch heute noch gut aus. Er lachte viel und seine Augen strahlten dabei, so daß sich jeder in seiner Gegenwart wohl fühlte. Maurice erinnerte sich, daß er ihn für kurze Zeit sogar geil gefunden hatte, als sie im selben Studio trainiert hatten.

Mittlerweile hatte aber ein geregeltes Eheleben seine Spuren hinterlassen. Sein Leib und auch seine Gesichtszüge bekamen Fülle und er bewegte sich gemächlicher als früher. Dennoch – wenn er einen seiner Witze riß und ihn dabei frech angrinste – fühlte Maurice sich um viele Jahre zurückversetzt in die Zeiten, in denen sie an jedem Wochenende zusammen um die Häuser zogen.

»Du solltest uns mal wieder besuchen, Rice«, sagte Tahir gerade zu ihm. »Nadine würde Dich gern kennenlernen. Ich hab ihr viel von unsern gemeinsamen Zeiten erzählt.«

Maurice zuckte zusammen, als er den Spitznamen hörte, mit dem man ihn damals immer gerufen hatte. »Ja, unsere Zeiten warn echt die besten. Du und ich im Sportstudio. Ich hab Deine Gewichte halten müssen. Hab mich echt zu lange in Paris verkrochen. Wird Zeit, daß sich das ändert. Ich hab das hier vermißt.«

»Ich Dich auch. Das Sportstudio hatt ich verdrängt. Aber es hat immer Spaß gemacht, mit Dir auf die Piste zu gehn, als Du Deine erste eigene Bude hattest. Wo wohnste jetzt eigentlich?«

»Der Name Nadine klingt aber nich, als hätt Dein Vater die Frau für Dich ausgesucht.« Maurice tat so, als hätte er die Frage nicht gehört.

»Natürlich nich. Du hättest seinen Blick sehn sollen, als ich sie ihm vorgestellt hab. Aber ich bin rechtzeitig bei ihm ausgezogen. Hab nen Job gefunden in nem Callcenter. Für ne kleine Wohnung hier reichts und Nadine verdient auch noch was dazu.«

Tahir sprach manche Worte noch wie ein Banlieusard, ein Akzent, den auch Maurice mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Seit er im Marais arbeitete, hörte er ihn nur noch selten.

»Guter Mann!« sagte er anerkennend zu Tahir. »Ich find auch, daß Ehe was mit Liebe zu tun haben sollte, und nicht mit religiösen Vorschriften, die seit Jahrhunderten keiner mehr versteht.«

Maurice lehnte sich mit dieser Bemerkung ziemlich weit aus dem Fenster. Immerhin war Tahir sicherlich Moslem und erwartete das auch von ihm. Er tippte aber darauf, daß sein Gegenüber eine eher liberale Einstellung dazu hatte, wenn er schon wegen seiner Frau einen Bruch mit dem Elternhaus riskierte. Außerdem hatte ihre Unterhaltung sowieso nur dann Sinn, wenn er mit ihm zumindest auf dieser Ebene offen sprechen konnte.

Tahir lachte nur kurz auf. »Recht haste. Du mußtest Dich im letzten Sommer auch Deiner Haut wehren, hab ich gehört. Dein Vater hatte doch nen richtig großes Ding mit Dir geplant, als Du im Krankenhaus lagst. Das hat hier ordentlich Wellen geschlagen, als er unverrichteter Dinge wieder abziehn mußte.«

Damit hatte Maurice die Klippe umschifft. Er hakte diesen Punkt innerlich ab und lächelte dann gequält, bevor er Tahir antwortete: »Das war verflixt knapp. Gut, daß ich Freunde hab, die mir damals geholfen haben, sie abzuwimmeln. Außerdem steh ich nicht so auf Frauen.«

»Das hab ich mir früher schon gedacht. Du warst zu schüchtern mit den Mädels. Was haste seinerzeit eigentlich genau mit Marlon angestellt? Der hat mich regelmäßig abgezogen und weil er mich mit etwas erpreßt hat, konnt ich mich auch nich richtig wehren gegen ihn. Von einem auf den andern Tag hat er mich in Ruh gelassen und ich hatt immer den Verdacht, daß Du Deine Finger im Spiel hattest.«

»Das willste nich wissen. Glaub mir. Womit hat er Dich denn erpreßt?«

»Ach, es war nix. Dein Vater ist jedenfalls stocksauer wegen der abgesagten Hochzeit. Solltest Dich dort besser nicht mehr sehen lassen. Ich hab mitbekommen, daß Deine Brüder Dich suchen und zur Rede stellen wollen.«

»Meine Brüder können mich mal.«

»Nimm das nicht auf die leichte Schulter, Rice!« Tahir blickte plötzlich sehr ernst. »Ich seh Dir an, daß Du Dich Deiner Haut wehren kannst. Aber gegen nen Messer im Dunkeln bist auch Du machtlos. Treib Dich lieber nicht zu oft hier in den Vorstädten rum. «

Maurice wußte aus eigener Erfahrung, wie machtlos er gegen einen Messerstich war, der unerwartet kam. »Ich seh mich schon vor. Wollt auch nur ein bißchen über alte Zeiten reden. Ist lange her, daß ich zuletzt hier war. Was machen eigentlich Omar und seine Gang? Dealen die immer noch mit allem, das sich nicht wehrt?«

»Omar is ne ziemliche Nummer geworden in den letzten Jahren.« Tahir schien der Themenwechsel eher unangenehm zu sein. »Der kontrolliert den Handel in einigen Straßen hier und einige Mädels hat er auch laufen. Hier in Saint-Denis und im Achtzehnten am Boulevard Barbès. Noch einer, vor dem Du Dich vorsehen mußt. Omar ist nachtragend und hat nicht vergessen, was Du damals mit Marlon gemacht hast. Was immer es war. Der war nämlich in seiner Gang. Außerdem biste jetzt Pariser. Damit haste eh nen schweren Stand.«

»Omar hat keine Beweise, daß ichs war. Schon gar nicht jetzt, wo die Sau sitzt.«

»Beweise haben Omar immer herzlich wenig interessiert. Ich warn Dich: Laß Dich nich mit ihm ein!«

»Und die andern Jungs aus unserer Schulzeit, was haben die gemacht?«

»Die meisten sind in Omars Gang. Ein, zwei Streber sind nach Paris gegangen. So wie Du.« Dabei zwinkerte Tahir ihm zu und Maurice grinste linkisch zurück. »Fast alle Mädchen haben geheiratet und stehn jetzt irgendwo in den umliegenden Wohnblöcken hinterm Herd. Nur zwei sind nicht mehr hier, aber die waren auch häßlich wie die Nacht. Wahrscheinlich warnse gefrustet, weil sie keiner wollte.«

Maurice war unangenehm berührt, entschloß sich aber, nichts draus zu machen. »Weißte, wo man Omar jetzt finden kann?« fragte er Tahir noch.

»Er hat nen Club draußen in Val-d’oise.« Tahir nannte eine Adresse. »Da hängt er meist rum. Aber ich hab Dich gewarnt. Das ist ne ganz eigene Welt. Nicht mal die Flics trauen sich dorthin!«

»Ich hab schon gehört, daß man sich von der Gegend besser fernhält. Und auch im Achtzehnten gehen komische Dinge vor. Haben da nich am Wochenende wieder Autos gebrannt bei Stalingrad, nachdem die Flics dort Leute verhaftet hatten?«

»Genau. Und man sagt, daß Omar dabei seine Finger im Spiel hatte. Wie bei fast allem, was da an Scheiße passiert. Der, den sie tot in einem der Autos gefunden haben … wer weiß, wer weiß.«

Maurice horchte auf. »Weißte mehr darüber?«

»Nein, nein. Hab eh grad zuviel gesagt. Über sowas redet man nich an Plätzen, wo die Wände Ohren haben.«

Maurice zahlte seinen Tee. »Hab verstanden und werd mich vorsehn. Danke, Tahir. Bist nen echten Freund. Ich freu mich, daß wir uns wieder getroffen haben. Und grüß Nadine von mir. Unbekannterweise.«

»Mach ich«, antwortete Tahir und umarmte Maurice herzlich. »Und meld Dich mal wieder, Rice. Wies Dir ergangen ist und so. Meine Einladung steht!«

»Ich versuchs.«

Maurice verließ die Bar. Tahir sah ihm noch eine Weile nach. Als er um die nächste Ecke verschwunden war, zog er sein Handy und wählte eine Nummer. »Rice ist wieder im Lande«, sagte er, als die Leitung stand. »Genau, der Rice.«


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