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Rezension »Der Astronaut« von Andy Weir *****

Der Astronaut

Ich habe vor einiger Zeit die Verfilmung von »Der Marsianer« mit Matt Damon mit einigem Genuß gesehen. Als ich entdeckt habe, daß der Autor des dazugehörigen Buches einen neuen Roman herausgebracht hat, habe ich ihn mir geholt.

Ich wurde nicht enttäuscht. Die Geschichte zog mich vom ersten Kapitel an in die Handlung hinein und ich habe mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt.

Ryland Grace wacht in einer fremden Umgebung ohne Erinnerung an seine Vergangenheit auf. Seine beiden Mitreisenden sind schon vor langer Zeit gestorben. Sie haben das Koma nicht überlebt, in das sie für die Dauer des Fluges versetzt wurden.

Der Astronaut stellt zu seinem Entsetzen fest, daß er sich in einem Raumschiff, der Hail Mary, befindet und daß es sich bei der Sonne, die er draußen sieht, nicht um Sol, sondern um Tau Ceti handelt, einen 12 Lichtjahre von unserer Sonne entfernten Stern. Da seine Erinnerung nur unangenehm langsam in Form kurzer Szenen zurückkommt, muß er sich mit den Randbedingungen irgendwie arrangieren.

Die Parallelen zum Marsianer sind offensichtlich. Wir beobachten einen Mann, der völlig allein ist und überleben muß. Unglücklicherweise findet Grace schnell heraus, daß er sich auf einer Mission zur Rettung der Menschheit befindet und daß sein Überleben nicht Teil des Plans ist, denn weder Treibstoff noch Nahrung reichen für die Rückreise.

Eine stellare Seuche namens »Astrophagen« hat sich in der lokalen Sternengruppe ausgebreitet und verringert die Leuchtkraft der Sterne mit der Zeit so sehr, daß ein Überleben auf der Erde schon in wenigen Jahrzehnten nicht mehr möglich sein wird. Tau Ceti ist der einzige Stern, der nicht betroffen zu sein scheint. Grace soll herausfinden, warum, und seine Ergebnisse mit vier redundanten Sonden zur Erde zurückschicken.

Kaum ist er in das Tau Ceti System eingeflogen, taucht ein fremdes Raumschiff auf. Das Interesse ist gegenseitig und das fremde Schiff baut einen Tunnel zur Hail Mary. Grace trifft auf eine Lebensform, die ihm maximal fremdartig erscheint: eine fünfstrahlige steinerne Kreatur mit Quecksilber als Blut, die bei 200 Grad Celsius in einer Atmosphäre aus Ammoniak mit 29 Bar Druck lebt.

Der Fremde, den er Rocky nennt, unternimmt Verständigungsversuche und nach einer Weile gelingt es Grace, seinem Computer die Grundbegriffe seiner Sprache, die aus reiner Musik besteht, einzuprogrammieren und einen Weg zur gegenseitigen Unterhaltung zu finden.

Rocky ist wie Grace der einzige Überlebende seines Schiffes. Die anderen Besatzungsmitglieder sind unterwegs an kosmischer Strahlung gestorben, einem Phänomen, das in seiner Heimat völlig unbekannt ist. Auch sein eigener Planet 40 Eridani A, 16 Lichtjahre von der Erde entfernt, ist von der Astrophageninvasion betroffen und seine Zivilisation hat deshalb sein Raumschiff nach Tau Ceti gesandt.

Es macht Spaß, den beiden dabei zuzusehen, wie sie es schaffen, gemeinsam an einem Problem zu arbeiten, mit dem jeder einzelne überfordert wäre. Sie entdecken, daß Tau Ceti nicht betroffen ist, weil das Sternensystem die Heimat der Astrophagen ist und ihr Bestand hier durch einen natürlichen Feind, einen Einzeller, den sie »Taumöbe« nennen, reguliert wird.

Bei der »wissenschaftlichen Herleitung«, daß sowohl Astrophagen, die auf der Oberfläche der Sonne leben, als auch Eridaner und Menschen eine gemeinsame Zellchemie besitzen, die auf Proteinen und Nukleinsäuren basiert, klappen meinem inneren Biochemiker die Fußnägel hoch und ich wünschte mir ein wenig mehr Science in der Fiction.

Das ist aber Jammern auf hohem Niveau und ich finde, ich sollte meine eigenen Ansprüche da nicht so wichtig nehmen. Wenn man partout Plotlöcher und Logikbrüche finden will, wird man auch in den besten Romanen der Weltliteratur fündig und in meinen eigenen Postillen sowieso. Wer selbst im Glashaus sitzt… den Rest kennst Du. »Der Astronaut« ist durchweg hohe Erzählkunst und in den teilweise irrwitzigen Beschreibungen blitzt gelegentlich sogar der Humor eines Douglas Adams durch.

Wie das Buch am Ende ausgeht, mußt Du selbst erlesen. Die Geschichte hält viele überraschende Wendungen bereit und ich möchte Dir die berechtigte Vorfreude auf die Lektüre nicht nehmen. Für mich hält der Autor mein Wunschende bereit. Das mag daran liegen, daß ich mich gelegentlich selbst fremd unter Menschen fühle, wenn ich zu viel der aktuellen Nachrichten konsumiert habe.

Dem englischen Original entsprechend ist auch in der deutschen Übersetzung meist von »Mikroben« die Rede, einem Wort, das ich eher aus Veröffentlichungen des 18. und 19. Jahrhunderts kenne. Insgesamt hat mir die abendliche Lektüre richtigen Spaß gemacht und ich vergebe gerne fünf Sterne für dieses gelungene Buch!

(Überarbeiteter Beitrag, Erstveröffentlichung in den Andromeda Nachrichten Nummer 283)


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