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Rezension: Singularity von Joshua Tree
Ich beginne mit dem Tiefpunkt des Buches: seinem Cover. Hier merkt man deutlich, daß selbst große Verlage nur noch für ihre absoluten Bestsellerautoren Geld in die Hand nehmen. Auf einem uninspirierten Hintergrund, der an Matrix erinnert schreit es einen an:
S I N
GULA
RIT Y
Man setzt auf Covern üblicherweise keine Bindestriche noch beschäftigt man sich mit Marginalien wie Kerning. Beim »Herrn des wüsten Planeten« mag das ein amüsiertes Lächeln hervorrufen. Hier bewirkt es, daß man sich an den Kopf faßt und fragt: Hä?«
In der Sekunde, die man benötigt, um seine hoffentlich vorhandenen Englischkenntnisse zusammenzukratzen und aus der Bleiwüste ein sinnvolles Wort zu bilden (Warum nicht Singularität?), ist man in der virtuellen oder realen Buchhandlung bereits zum nächsten Buch weitergewandert.
Glücklicherweise beurteile ich ein Buch nicht nach seinem Cover. Die Rechtschreibfehler im Klappentext sind auch geschenkt. Der Autor hingegen hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Seine Geschichte hat mich trotz ihres eher gemächlichen Erzähltempos von Anfang an mitgerissen und zu keinem Zeitpunkt gelangweilt!
Auf der Erde ist das Leben nach dem selbstverschuldeten Klimawandel trostlos. Auf dem Gebiet der USA verbringen nur wenige genetisch verbesserte Menschen in Inseln der Hochzivilisation wie New York ein einigermaßen selbstbestimmtes Leben in einer Art virtuellem Raum. Sie schauen wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf die kommende Singularität, den Punkt, an dem die Computer die Menschen überflügelt haben werden, die sie einst programmierten.
Die nicht genetisch verbesserten Menschen leben in trostlosen ‘Zügen’ in der lebensfeindlichen Umgebung der Ebenen des mittleren Westens und bekommen davon nichts mit. Eine KI namens Administratorin versucht, ihrem Leben mit einer Legende einen Sinn zu geben – mit zunehmend weniger Erfolg. Es gibt Aufstände und die meisten Menschen werden von der KI und ihren Drohnen getötet.
Wir folgen den Lebenslinien der nicht verbesserten Menschen Adam und James. Der Junge Adam ist einem Massaker in einem der Züge entkommen und versucht, sich ins ferne New York durchzuschlagen und seinen Vater zu finden.
James ist bereits dort und wird von den dort lebenden hyperintelligenten Menschen zwar freundlich behandelt, ist für sie aber letztlich nicht mehr als ein amüsantes Spielzeug. Für ihn überraschend betrauen sie ihn mit einer heiklen Mission: er soll in einer VR Simulation Spuren von Luise, der Tochter des Programmierers der Simulation finden, die in der realen Welt bei einem Bootsunfall starb. Überraschenderweise zeigt sich, daß seine menschliche Intuition der Rechengeschwindigkeit der genetisch Verbesserten hier überlegen ist. Er findet Luise und gemeinsam hecken sie einen Plan aus, um der Singularität zu entkommen.
Ein dritter Handlungsstrang läuft zunächst off-topic nebenher: Phoebe und Rhea arbeiten in einer Simulation, die auf einem Planeten des benachbarten Sternsystems Proxima Centauri spielt, auf dem ein Kolonieschiff etwa 100 Avatare in einer Art Kolonie deponiert hat. Die Menschen planen, das Bewußtsein weniger privilegierter Exemplare in Bits und Bytes mit einer Technik namens ‘Quantum Link’ in die Gehirne der Klone auf dem neu besiedelten Planeten zu kopieren und diesen anschließend zu besiedeln.
Phoebe und Rhea sollen in der Simulation dort ggf. auftretende Probleme aufspüren. Diese gibt es in Hülle und Fülle. Ein Klon erwacht, ein anderer verschwindet. Es stellt sich die Frage, ob sie sich wirklich in einer Simulation befinden und sie stellen fest, daß sie nicht die Personen sind, die sie zu sein glauben.
Die Art, wie der Autor den perfekten Cyberspace kreiert, den man benötigt, um ein menschliches Bewußtsein zu zerlegen und anderswo wieder korrekt zusammenzusetzen, finde ich heikel. ‘Alle Flächen sind mit Sensorstaub überzogen. Jede Glasfront, jeder Bürgersteig, jede Straße, jedes Luftmolekül’ (S.191-2). Wer aber Trägheitsdämpfer, Beamen und das Ignorieren der Quantenphysik im Perry Rhodan Universum als Science-Fiction ansieht, und das tun wir wohl alle, sollte auch mit Nanobots auf Luftmolekülen keine Probleme haben.
In der wirklichen Welt bleibt bei dieser Übertragung wohl das Bewußtsein des Menschen in seinem Körper zurück, während ein lediglich simuliertes Selbst auf die Reise nach Proxima Centauri geschickt wird. Diese Unterscheidung mag für die Zukunft der Menschheit aber unerheblich sein, denn auch dort werden die Klone von einer starken KI gepflegt, der vorgegaukelt wird, eine menschliche Existenz zu sein.
Gegen Ende der Geschichte verschwimmt die Grenze zwischen Simulation und Realität endgültig. Das Finale stellt die Handlung vom Kopf auf die Füße. Das Buch hat mir einige durchgrübelte Nächte beschert und ich gebe eine klare Kaufempfehlung.
Joshua Tree
Singularity
Fischer Tor Verlag 2021
ISBN 978-3-596-70087-5
Klappbroschur, 459 Seiten
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