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Projekt Moíra-Zyklus Teil 5 – Wunder der Apokalypse – Leseprobe

Disclaimer

Dieser Text ist eine Rohfassung in alter Rechtschreibung. Er ist weder überarbeitet noch lektoriert. Jedwede Fehler oder unlogische Passagen, die Du findest, darfst Du behalten 😏

Projekt Moíra-Zyklus Teil 4 - Leseprobe
Wunder der Apokalypse – Leseprobe 3

Kapitel 5. Die dunkle Sphäre

Ich weiß nicht, wie Herb es geschafft hat, aber die HARKONNEN erreicht die Sternbasis beinahe rechtzeitig. Sein am häufigsten benutzter Spruch in diesen Tagen lautet Mach das bloß niemals nach, wenn Dir Dein Leben lieb ist!.

»Es wird ein wenig mehr zu reparieren geben als ursprünglich, aber wir schieben alles auf den Unfall«, erklärt er mir nach dem letzten Sprung, als die Sternbasis auf unseren Bildschirmen auftaucht.

Auch sie besitzt eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit der HARKONNEN, denn sie ist bereits vor Tausenden von Jahren erbaut worden und niemand hat sich bei den vielen nachträglichen Umbauten die Mühe gemacht, zumindest die ursprüngliche äußere Form aufrecht zu halten. Der einzige Unterschied zu dem Haufen Altmetall, dem die HARKONNEN ähnelt ist die Größenordnung des Haufens.

Der Haufen … die Station besitzt die Größe eines Planetoiden und umkreist einen roten Zwergstern auf einer engen Umlaufbahn. Er produziert gerade genügend Energie, um die Solarkollektoren der Station mit genügend Leistung zu versorgen. Der spärlich bestückte Asteroidengürtel in einiger Entfernung enthält bestimmt kein Gramm Metall mehr. Ich erkenne die Spuren der Abbautätigkeit. Bevor ich bei der Gesellschaft angeheuert habe, habe ich selbst einige Jahre Metalle aus den Felsen gelasert. Die Spuren hier sind aber alt. Die Schürfer sind schon lange in andere, größere Sonnensysteme weitergezogen.

»Hier sollen wir das Schiff reparieren lassen?«, entrüste ich mich. »Mich wundert, daß die Gesellschaft Geschäftsbeziehungen mit solch heruntergekommenen Läden unterhält. Hier müssen wir ja aufpassen, nicht selbst ausgeschlachtet zu werden!«

»Die Geschäftsidee ist ganz simpel. Im Umkreis von Dutzenden Parsec gibt es nichts.«

»Okay. Überzeugt. Laß uns andocken.«

In Wirklichkeit habe ich Angst, daß unser Schiff beim nächsten Sprung auseinanderfliegt. Die Geräusche, die die Schiffswände beim letzten Mal von sich gegeben haben, werden mich noch wochenlang in meinen Träumen verfolgen.

Am Ende ist es auf der Station gar nicht so schlimm. Die meisten der dort vertretenen Spezies kenne ich nicht. Ich bin wohl das einzige menschliche Wesen hier und habe meine Ruhe. Der Bereich für Sauerstoffatmer ist überraschend klein. Die meisten der Rassen in diesem Sektor der Milchstraße atmen andere Gase oder leben in giftigen Flüssigkeiten. Wir erhalten aber akzeptabel große Quartiere und eine ausreichend schnelle Netzanbindung, so daß ich wieder einmal mit meiner Frau Nele und den Kindern reden kann.

Nicht daß es mich besonders danach drängt, aber ich fühle mich als Ehemann verpflichtet, wenigstens so zu tun, als würde ich mich um meine Familie kümmern.

Viel zu sagen haben wir uns nicht. Sie bewegen derzeit andere Probleme als mich. Sie will mich mit Hilfe ihres Vaters aus meinem Arbeitsvertrag lösen und zurück auf die Erde holen. Das will ich aber nicht. Mir gefällt es hier draußen zwischen den Sternen viel besser und wenn ich schon Wurzeln schlagen soll, dann viel lieber auf Terra Nova, einer Welt, auf der ich frische Luft und freien Himmel über mir habe und keine Metallkuppel, die mich vor der verschmutzten Atmosphäre schützen muß.

Nele reagiert gereizt, als ich das Thema anspreche. »Ich weiß nicht, was Du daran findest, Dich völlig ungeschützt draußen aufzuhalten«, sagt sie spitz.

»Was ich daran finde? Vielleicht, daß es gar nicht nötig ist, sich vor etwas zu schützen. Dort gibt es keine Umwelt, die wir selbst vergiftet haben.«

Ihr Blick sagt mir, daß sie das nicht überzeugt. Auch das Argument, daß unsere Kinder etwas Besseres verdient haben, wischt sie mit einer Handbewegung beiseite.

»Es geht uns hier ausgezeichnet und dank Vater haben wir hier alle Annehmlichkeiten zur Verfügung, die Geld kaufen kann. Du verdienst ja nicht mal genug, damit wir uns die größere Wohnung leisten können«, zischt sie.

»Warum heiratest Du dann nicht Deinen Vater, wenn ich nur eine Belastung für Dich bin?«, brülle ich zurück und lege auf.

Zumindest habe ich so das letzte Wort. Das ist mir sonst selten vergönnt. Langsam wächst in mir die Gewißheit, daß es keine gemeinsame Zukunft auf Terra Nova geben wird. Wenn ich dort leben will, muß ich es allein tun.

Am nächsten Tag trifft eine Nachricht von der Gesellschaft für Herb und mich ein. Sie haben unsere Logs gecheckt und schäumen. Gäbe es auf dieser Station eine Ablösung für uns, wären wir wohl schon gekündigt. So werden wir ultimativ auf eine zentraler liegende, große Raumstation beordert, auf der uns eine organisatorische Besprechung mit einer Dame erwartet, die in der Hierarchie einige Stufen über uns steht.

»Das war wohl zu erwarten«, sage ich. »Ich hätte nur nicht gedacht, daß sie so schnell dahinterkommen.«

»Wozu glaubst Du, daß der Datenstrom mit der Zentrale da ist? Damit kommen nicht nur unsere privaten Mails rein. Auch das Schiff sendet ständig Statusberichte an die Gesellschaft. Die haben unseren Schlenker zur Heimatwelt der Az’e’ess fast in Echtzeit mitbekommen.«

»Wenn Du das wußtest, warum hast Du dann mitgemacht? Du hast doch viel mehr zu verlieren als ich.«

»Nicht nur ihr Menschen habt euren Stolz. Auch meine Spezies besitzt einen moralischen Kompaß. Er funktioniert an vielen Stellen anders als eurer. Wenn es aber darum geht, jemandem zu helfen, der sich in Lebensgefahr befindet, dann sind auch wir verpflichtet, etwas zu tun.«

Daß ihr moralischer Kompaß anders funktioniert als meiner weiß ich spätestens, seit ich Herb einmal versehentlich nackt gegenübergetreten bin. Kein Anlaß also, das Thema jetzt zu vertiefen. Eins aber muß ich fragen:

»Was machst Du, falls sie uns kündigen?«

»Meine Brutansine arbeitet im Tourismussektor. Die nehmen Piloten mit meiner Erfahrung mit Kußhand. Und besser zahlen tun sie auch.«

»Deine Bru… was bitte?«

»Brutansine.«

»Was ist das?«

Herb sucht nach Worten. Sie ergeben für mich aber ebensowenig Sinn wie das Spiel seiner Tentakel, mit dem er die Erklärung untermalt. Schließlich geht mir auf, daß das Verständnisproblem grundsätzlicher Art ist. Für Verwandtschaftsverhältnisse in Spezies mit mehr als zwei Geschlechtern gibt es in unserer Sprache keine Entsprechungen, nur Ansammlungen von Silben und Phonemen. Ich stelle mir Herb immer als Mann vor, aber eigentlich ist er das gar nicht.

»Okay, Du hast also einen Plan B«, unterbreche ich schließlich seine Erklärungsversuche.

»Ja. Du mußt meinetwegen kein schlechtes Gewissen haben.«

So hätte ich das jetzt nicht bezeichnet, aber ein Stück weit hat er recht. Wahrscheinlich ist also der Rückflug in die Galaxis unser letzter gemeinsamer Einsatz. Warum müssen leichtsinnige Entscheidungen aber auch immer gleich Konsequenzen haben.

Fast bedaure ich mein Handeln. Für einen Alien ist Herb nämlich ziemlich cool. Ich würde ihn sogar beinahe als meinen Freund bezeichnen, wären wir in mancher Beziehung nicht so grundverschieden. Ich werde ihn auf jeden Fall vermissen.

Die Reparaturen ziehen sich und das Essen ist wenig abwechslungsreich. Da es aufgrund der Größe des Bereichs keine Amüsiermeile für Sauerstoffatmer gibt, kehrt bei uns bald Langeweile ein. Herb und ich verlegen uns aufs Kartenspielen. Ich verliere immer. Herb ist mit seinen Tentakeln einfach zu geschickt. Selbst wenn ich ein sicheres Blatt habe, vollführt er einen Wirbel mit den Tentakeln und plötzlich verliere ich doch noch. Manchmal frage ich mich, ob er mich hypnotisiert, aber jedes Mal, wenn ich den Gedanken ausformulieren will, lenkt er mich mit irgendetwas ab.

Nele ruft noch einige Male an. Ich nehme die Gespräche aber nicht mehr entgegen. Was soll ich ihr auch sagen? Schließlich kommt aber ein Anruf, den ich annehmen muß.

»Sekretariat von Administrator Volta, einen Moment, ich verbinde…«

»Hallo Schwiegervater.«

»Hallo Junge.«

»Was kann ich für Dich tun?«

»Ich denke ich kann etwas für Dich tun. Nele ist der Meinung, daß Du etwas Besseres verdient hast, als den Job, den Du gerade einnimmst.«

»Unglücklicherweise macht mir mein Job aber Spaß«, lüge ich.

»Na komm schon. Irgendwo wirst Du einen besseren Platz finden. Einen Platz, auf dem Du für Deine Frau und die Kinder da sein kannst. Hast Du Dir nie Gedanken darüber gemacht, was Du noch alles erreichen kannst?«

»Natürlich mache ich mir darüber Gedanken.«

»Dann sind wir uns also einig. Sag mir, was Du tun möchtest und ich sehe, was ich möglich machen kann.«

»Besorge uns einen Paß für Terra Nova.«

»Was bitte?«, fragt der Administrator nach einer Gedenksekunde.

»Ich will nach Terra Nova.«

»Aber dort kannst Du nur Bauer werden. Oder allenfalls Bürgermeister.«

»Ich könnte dort glücklich werden.«

»Nele würde niemals mitkommen.«

»Dann überzeug sie. Ich bin der Meinung, daß die Kinder, unsere Kinder, etwas Besseres verdient haben, als ihr Leben in tausendfach gefilterter Luft zu verbringen.«

»Sie werden ihren Fähigkeiten entsprechend gefördert. Ihr Leben ist zu wertvoll, um es auf Terra Nova zu vergeuden.« Ich wußte nicht, daß mein Schwiegervater so kalt klingen kann.

»Vergeuden nennst Du das?«

»Wie nennst Du es?«

»Leben.«

»Ich habe Nele gleich gesagt, daß man mit Dir nicht diskutieren kann.«

Ich beende das Gespräch. Ich habe keine Lust, mich zu streiten. Derzeit liegt mir der Rückflug im Magen. Ich mag keine Generalaussprachen und hoffe, daß sie nicht noch auf die Idee kommen, uns für unser eigenmächtiges Handeln in Regreß zu nehmen. An dem Verlust der Passagierkapseln im Asteroidengürtel der nicht auf der Karte verzeichneten Sonne tragen wir zwar keine Schuld, aber unsere Arbeitsverträge lassen der Gesellschaft in dieser Beziehung alle Möglichkeiten offen.

Endlich ist das Schiff repariert. Ich habe kein Geld mehr, um mit Herb zu spielen. Das rote Licht, das die Sonne dieses Systems abstrahlt, ist zwar erholsam für die Augen, es macht aber auch müde. So viele Stunden, wie ich hier vorgeschlafen habe, genügen, um auf der HARKONNEN zwei Wochen am Stück durchzuarbeiten.

»Gut, daß ich erst vor einem Jahr eine Feldionentransistorspule für den Reservekreislauf aus einem Wrack ausgebaut habe«, sagt der Techniker, der uns vor dem Abflug einweist. »In Neu sind die kaum zu bezahlen.«

Ich nicke. Der Gesellschaft wird das gefallen, so knauserig, wie die sind. Wir besichtigen das Schiff. Eine Reparatur ist eigentlich etwas anderes. Hier draußen im tiefen Raum behilft man sich damit, daß man defekte Bauteile einfach umgeht. Der Optik der HARKONNEN schadet es nicht mehr, daß dafür einfach neue Komponenten an die Außenwand geflanscht wurden. Sie fliegt wieder und nur das zählt. Aerodynamik ist im Vakuum zweitrangig.

Herb bezahlt die Rechnung mit dem Gesellschaftsstick, den wir für solche Fälle an Bord haben. Der Zahlvorgang benötigt mehr Paßwörter als ich in meinem ganzen Leben lernen kann, aber mein Partner funktioniert da wie ein Roboter.

Danach holen wir unser Gepäck und gehen wieder an Bord.

Mißmutig wische ich einige Schleimspuren von meinem Sessel. Der Techniker, der hier gearbeitet hat, gehörte wohl zu einer amphibischen Spezies. Denen muß man immer hinterherputzen. Man sollte meinen, jemand hätte für solche Fälle schon mal selbstreinigende Oberflächen erfunden.

Es gibt sie bestimmt. Sie liegen nur außerhalb unserer Gehaltsklasse. Wassereimer und Putzlappen wird man wohl auch in zehntausend Jahren noch benötigen.

Dummerweise löst der Schleim sich nicht im Putzwasser auf. Wer weiß, aus was der besteht. Vielleicht ist er für mich sogar giftig. Also kratze ich die Rückstände mit Hilfe eines Spachtels und eines Föns von den Sitzflächen herunter.

Dann geht es los. Wir kappen vorsichtig die Andockverbindung zur Station, starten den konventionellen Antrieb und entfernen uns zuerst langsam mit den Manövrierdüsen, damit der Strahl des Antriebs nicht die Station zerlegt. Dann, in einiger Entfernung, nehmen wir Tempo auf und verlassen dieses Sonnensystem.

Herb berechnet derweil die Parameter für den ersten Sprung. Die Motoren klingen wieder wie zu Beginn unserer Reise. Beruhigt verlasse ich die Brücke. Mein Partner übernimmt die erste Schicht. Auf dem Weg in meine Kabine spüre ich den kurzen Anflug von Übelkeit, der den Sprung begleitet. Alles ist wie immer.

Die erste Hälfte der Nacht putze ich. Was zur Hölle hat dieser Kaulquappentechniker in meiner Kabine zu suchen gehabt? Selbst die Mikrowelle ist voller Schleim.

Dann schlafe ich aber doch und träume von der Aussprache, die uns bevorsteht. Ich würde sie gerne auf die lange Bank schieben und wir lassen uns entsprechend viel Zeit. Dann befindet sich plötzlich ein schwarzes Loch direkt auf unserer Strecke. Wir versuchen, mit dem konventionellen Antrieb zu entkommen, denn wir sind ihm zu nahe, um springen zu können. Wir schaffen es aber nicht. In einer engen Spirale stürzen wir hinein. Die Sterne beginnen sich um uns zu drehen und tanzen einen immer schnelleren Tanz am Firmament. Ich höre ein Brausen, das lauter wird. Dann wache ich auf.

Erleichtert, daß alles nur ein Traum war, richte ich mich im Bett auf, bemüht, nicht an die Decke des Alkovens zu stoßen. Der Zeitgeber in meinem Schnittstellenimplantat sagt mir, daß es Zeit ist, Herb auf der Brücke abzulösen.

Ich benutze die Schalldusche, ziehe mir frische Sachen an und mache mich auf den Weg zur Brücke. Unterwegs spüre ich den nächsten Sprung. Ganz gewöhnt man sich nie an das Gefühl. Der Eindruck, daß etwas Fremdartiges mit meinem Körper geschieht, bleibt.

Als ich oben ankomme, sehe ich das Grau, mit dem die Bildschirme anzeigen, daß wir uns im Hyperraum befinden und sie nichts empfangen. Herb begrüßt mich mit einem leichten Wedeln seiner Tentakel und schiebt sich etwas in seinen Eßmund, das wie ein Stück trockenes Holz aussieht.

»Du kommst gerade rechtzeitig«, begrüßt er mich schmatzend. »Noch ein Sprung und wir sehen die Station.«

»So schnell? Wir sollten doch erst morgen dort sein. Ich kann nicht sagen, daß ich es eilig habe, dorthin zu kommen.«

»Ich finde, wir sollten einen guten Eindruck machen. Deswegen habe ich eine Abkürzung genommen.«

»Soll das heißen, Du bist von unserer Route abgewichen und durch unkartographierten Raum geflogen?«

»Hab Dich nicht so. Du weißt, daß der Raum sehr wohl kartographiert ist. Es fliegt nur nie jemand dort lang.«

Damit hat er recht. Die Raumschiffe fliegen wie Schafherden immer auf den gleichen Strecken von Station zu Station. Dies sind nicht unbedingt die kürzesten Wege und gerade so weit draußen wie hier kommt man viel schneller voran, wenn man nicht aus alter Gewohnheit immer von einem Stern zum nächsten springt, sondern auch den interstellaren Raum nutzt. Bei einer Havarie wäre das übel, aber unser Schiff ist zum einen frisch überholt und zum anderen kommen Havarien praktisch nicht vor.

Außer bei uns. Ich erinnere mich nur ungern an den Asteroidengürtel, in dem wir vor einigen Wochen gelandet sind, weil eine Sonne nicht auf der Karte verzeichnet war.

Das schlechte Karma bleibt uns treu. Wir springen aus dem Hyperraum und unvermittelt schrillen die Alarmglocken los. Die Bildschirme strahlen hell auf. Das letzte, was ich sehe, ehe ich geblendet die Augen schließen muß, ist eine riesige, blauweiße Feuerkugel direkt vor dem Schiff.

»Verdammt«, brülle ich los, »was hast Du getan?«

Die Schilde werden dem Ansturm an Strahlung nur wenige Sekunden standhalten. Die Temperaturanzeige der Außenhülle bewegt sich auch so schon in beängstigendem Tempo in den roten Bereich. Wegfliegen können wir nicht. Bis dahin sind wir in der Korona des blauen Überriesen verglüht, in die uns der Sprung getragen hat. Genau genommen bleiben uns nur Sekunden, um das zu verhindern.

»Schilde auf 40 Prozent. Bring uns hier raus. Wir müssen wieder springen!«

»Wir sind zu nahe an der Sonne. Wir dürfen nicht springen.« Herb ist die Ruhe selbst. Ganz im Gegensatz zu mir.

»Schilde auf 10 Prozent. Scheiß auf die Regeln. Wenn wir nicht springen, sind wir tot, also spring schon!«

Herb ist zum gleichen Ergebnis gekommen, denn seine Tentakel huschen hektisch über den Touchscreen des Sprungantriebs. Die Schilde brechen zusammen und auch die Temperaturanzeige befindet sich mittlerweile am Anschlag. Ich stelle mir im Geiste vor, wie die Hülle jetzt verdampft und unsere Kabinen gleich platzen wie ein Ei in der Mikrowelle.

Ein Brüllen erklingt um uns herum, dann höre ich ein metallisches Kreischen. Ich muß mich übergeben und erwische eben noch den Putzeimer, der seit gestern auf der Brücke steht. Dann wird es dunkel. Die Bildschirme zeigen wieder das Grau des Hyperraums. Nach der Helligkeit eben wirkt es auf meine überreizten Augen wie schwarz.

Nur Sekunden dauert dieser Zustand. Dann hört das Kreischen auf. Das Vibrieren des Antriebs stoppt und Stille breitet sich aus. Der Touchscreen der Hyperantriebssteuerung wird dunkel, ebenso wie die Bildschirme.

»Wir leben noch.« Ich tauche aus meinem Eimer auf und merke, daß ich selten etwas Dümmeres gesagt habe.

»Das war knapp«, sagt Herb.

»Wo sind wir?«

»Keine Ahnung.«

»Wie hast Du so schnell einen neuen Sprung berechnet?«

»Das habe ich nicht.«

»Aber wir sind doch irgendwo.«

»Ich habe einfach die letzten Sprungkoordinaten eingegeben. Nur rückwärts.«

»Hat Dir schon mal jemand gesagt, daß Du genial bist?«

»Nein.«

»Du bist genial.«

»Danke.«

Herb brummelt etwas vor sich hin. Mit drei Armen kontrolliert er die Instrumente auf den Armaturen. Der vierte Tentakel ist um das restliche Stückchen Holz gewickelt, das er sich jetzt in den Mund schiebt.

»Wie ist die Lage?« Eigentlich will ich die Antwort nicht hören.

»Die Schäden an der Hülle sind so stark, daß wir wieder ins Raumdock müssen. Zum Glück ist ihre Integrität noch nicht gefährdet. Wir sind bloß nicht dort, wo wir gestartet sind. Die meisten Systeme laufen. Auch die KI des Schiffes ist online. Der Sprungantrieb ist aber ausgefallen und hat uns irgendwo abgesetzt.«

»Können wir ihn reparieren?« Auch vor der Antwort auf diese Frage habe ich Angst.

»Weiß ich noch nicht. Zumindest haben wir Energie.«

»Ein Glück. Dann können wir wenigstens einen Notruf absetzen.«

»Hast Du nicht zugehört? Der Sprungantrieb ist ausgefallen. Ohne offenes Fenster in den Hyperraum kein Hyperfunk.«

Herb klingt wie ein Lehrer, der dem dümmsten seiner Schüler etwas versucht, zu erklären, das der eigentlich wissen sollte.

»Mist.«

Mehr fällt mir gerade nicht ein. Wir sind also zwischen den Sternen gestrandet. Zumindest befinden wir uns nicht mehr in akuter Gefahr. Ich gehe zur Recyclingstation und entleere den Inhalt des Putzeimers. Als ich zurückkomme, hat sich Herb einen Überblick verschafft.

»Die gute Nachricht ist: wir leben«, begrüßt er mich.

»Das klingt nach einer Menge schlechter Nachrichten.«

»Definitiv. Die Abschirmung des Andockrings hat nämlich der Hitze nicht standgehalten. Unsere Passagiere sind alle gut durchgebraten. Wir sind allein.«

»Das wird der Gesellschaft nicht gefallen. Was noch?«

»Die Gesellschaft ist unser kleinstes Problem. Wir sind nicht dort, wo wir sein sollten. Das Schiff versucht gerade, uns wieder in den Sternkarten zu positionieren. Das wird etwas länger dauern, denn die Schiffssensoren sind teilweise beschädigt. Alles, was der Strahlung dieser Sonne nach dem Versagen der Schilde ausgesetzt war, ist angeschmolzen.«

»Was ist schiefgegangen? Ich glaube nicht, daß Du uns dorthin springen lassen wolltest, wo wir gelandet sind.«

»Zuerst muß das Schiff herausfinden, wo wir sind. Danach kann ich unseren Weg von der letzten bekannten Position rekonstruieren.«

»Wie schnell geht das?«

»Keine Ahnung.«

Mein Magen meldet sich. Ihm ist wieder gut und er hat mitbekommen, daß er jetzt leer ist.

»Laß uns so lange etwas essen. Wenn wir schon sterben sollen, will ich wenigstens satt sein.«

»Niemand redet vom Sterben. Wir haben Vorräte für mehrere Monate.« Herb kommt aber trotzdem mit. Streß macht hungrig.

Nach einigen Minuten – ich habe mir gerade ein Fertigmenü geöffnet – hören wir einen Signalton. Das Schiff hat uns gefunden. Herb greift sich seinen Snack und verschwindet. Ich esse einige Happen und trotte dann hinterher.

Ich finde ihn in die Sternenkarte vertieft. Er kaut auf dem Rest seines Snacks herum, diesmal etwas weiches, glibberiges, das wirkt, als würde es noch leben. Ich setze mich auf meinen Platz und scrolle durch die Außenbildschirme, bis er damit fertig ist.

Wir befinden uns immer noch nahe am Rand der Galaxis. Daher sehe ich sie nur auf einer Seite des Himmels strahlen. Die andere Seite ist größtenteils schwarz.

Nur ein Kugelsternhaufen befindet sich in der Nähe. Ziemlich in der Nähe. Er nimmt am Himmel ein größeres Areal ein. Die gelben, dicht gedrängten Sterne strahlen in ihrer Gesamtheit so hell, daß sie wohl einen Schatten werfen würden, hätten wir sonst kein Licht. Der Haufen liegt hier seit Anbeginn der Zeit am Rande unserer Milchstraße. Die meisten seiner Sterne sind entsprechend alt. Alle jungen, blauen Sterne sind schon lange erloschen. Die verbleibenden orangen und roten Sterne bieten einen tiefen Blick in die Vergangenheit.

Auf einigen Planeten innerhalb dieses Systems sollen einige der ältesten Spezies unserer Galaxis leben. Das sagt zumindest die Gerüchteküche, denn belastbare Untersuchungen zu diesem Thema gibt es seltsamerweise nicht. Die wenigen Expeditionen, die jemals aus dem Kugelhaufen zurückgekommen sind, brachten wenig aussagekräftiges Material mit. Ihre Berichte lesen sich, als stünden die Mannschaften immer noch unter Schock. Nur über das, was sie ängstigt, erfahren wir nichts.

Wie es solch alte Zivilisationen geschafft haben könnten, ihre Gesellschaft über einen solch langen Zeitraum stabil zu halten, versteht kaum jemand im restlichen Universum. Sehe ich mir unsere eigene Geschichte an, so ist es ein gewaltiges Wunder, daß wir es überhaupt bis hierher geschafft haben, ohne unseren eigenen Planeten völlig unbewohnbar zu machen. Nun gut, viel fehlt nicht mehr und Leute wie mein Schwiegervater tragen bestimmt nicht dazu bei, daß sich daran etwas ändert.

Auf mich wirkt der Sternhaufen so fremdartig, daß ich mich für einige Sekunden fühle, als wäre ich allein auf der Welt. Wie hypnotisiert schaue ich auf diese milchige Scheibe aus gelben Lichtpunkten.

»Hrrrmmm…« Nach menschlichen Maßstäben hat sich Herb gerade geräuspert, auch wenn es sich anhört, als läge ein großer Hund im Sterben.

»Was hast Du herausgefunden? Hattest Du falsche Parameter für den Sprung berechnet?«

»Ausgeschlossen. Du weißt, daß ich mich nie verrechne.«

Das stimmt. Herbs Gehirn besitzt eine mathematische Präzision, die es durchaus mit unserem Schiffscomputer aufnehmen kann.

»Was war es dann?«

»Hier hätten wir entlang fliegen müssen«, Herb zeigt mir eine gerade, weiße Linie auf der Karte. »und hier sind wir gelandet.« Er zeigt auf einen hellen, blauen Stern abseits der Strecke, bei dem es sich wohl um den blauen Überriesen handelt, der uns beinahe gegrillt hätte. »Der Stern heißt übrigens Uronas Epsilon. Irgendwo auf unserem Kurs muß sich eine große Masse befinden, die unseren Kurs beeinflußt hat.«

»Du meinst eine Masse, wie die Sonne, in deren Asteroidengürtel wir vor einiger Zeit gelandet sind?«

»In etwa. Mit dem Unterschied, daß in dieser Region alles genauestens vermessen ist. Kein Objekt, das größer ist als ein Planetoid, kann hier existieren, ohne daß wir davon wüßten.«

»Und wo sind wir jetzt?«

»Wäre unser Antrieb nicht ausgefallen, hätte er uns mit diesen Parametern wieder zum letzten Sprungpunkt zurück geschossen. So haben wir es nur etwa bis zur Hälfte geschafft und befinden uns jetzt in der Nähe unserer ursprünglichen Route.«

Herb deutet mit einem langen Stift in die holographische Karte hinein auf den Punkt an dem wir uns befinden. Dort liegt außer uns nichts. Keine Sonne, kein Zwergstern, nicht einmal ein extrasolarer Planet treibt sich hier herum.

»Wie lange brauchen wir denn ohne Sprungantrieb zum nächsten bewohnten System?«

»Neunundzwanzig Jahre, acht Monate, siebzehn Tage und…«

»So genau wollte ich das nicht wissen.«

»Warum fragst Du dann?«

»Wenn Du Dir bereits die Mühe gemacht hast, es auszurechnen, wird die Zahl wohl etwas bedeuten.« Ich seufze tief.

»Sie bedeutet, daß wir hier festsitzen. Selbst wenn wir sofort starten, reichen unsere Vorräte nicht.«

»Außerdem wären wir dann alte Leute.«

»Du ja. Ich nicht.« Herbs Stimme trieft vermutlich vor Sarkasmus.

»Dann können wir auch hierbleiben. Zum Sterben ist dieser Ort genausogut wie jeder andere.«

»Wer redet vom Sterben? Du hast mich nicht gefragt, ob ich den Antrieb reparieren kann.«

»Kannst Du den Antrieb reparieren?«

»Jein.«

Herbs Sinn für Humor treibt heute wieder seltsame Blüten. Anscheinend bringen mich Fragen gerade nicht weiter oder ich stelle ihm die Falschen. Also schweige ich und warte, was er als nächstes tut.

Er wischt für eine Weile auf seinem Tablet herum und macht dabei mit seinen Tentakeln Gesten, die bei einem Menschen wohl Kopfschütteln bedeuten würden. Den Kopf schütteln kann er nicht, denn seine Spezies besitzt keinen Hals. Was bei uns der Kopf ist, zeigt sich bei ihm lediglich als beulenförmiger Auswuchs auf seinem Körper, auf dem die Münder und seine zwei Augenpaare sitzen. Dabei brummelt er Ausdrücke in seiner Muttersprache. Ob sie einen Sinn ergeben oder ob er einfach nur vor sich hin flucht, weiß ich nicht.

Schließlich wendet er sich mir wieder zu. Ich bemerke es daran, daß sich eines seiner Augenpaare auf mich richtet. Ansonsten ändert sich an der Körperhaltung und dem Spiel seiner Tentakel nichts.

»Das Schiff weiß nicht genau, wie stark der Antrieb durch den Start so nahe an einer großen Masse beschädigt wurde. Wäre er explodiert, gäbe es uns nicht mehr, also könnte es etwas zu retten geben. Ich muß mir das genauer ansehen.«

»Was kann ich tun?«

»Das Schiff für alle Fälle nach einem Ort zum Landen scannen lassen. Es muß kein Planet sein, ein Planetoid reicht auch. Hauptsache etwas Schwerkraft. Innen im Maschinenraum kannst Du nicht helfen. Du bist zu unbeweglich.«

Das sagt mir eine Spezies ohne Hals und Hände. Diesmal schüttele ich den Kopf. Er wird schon wissen, was er tut. Aber mit der Schwerkraft hat er recht. Der Maschinenraum befindet sich ganz innen im Schiff. Die Zentrifugal-Gravitation, die durch die Rotation des Frachters entsteht, reicht dort nicht hin, so daß Herb seine Arbeit schwebend erledigen muß.

Er steht auf und geht. Ich setze mich auf seinen Platz und verschaffe mir ebenfalls einen Überblick über die Instrumentenanzeigen, die den Zustand des Schiffes verraten. Das dauert eine Weile. Der Bildschirm, über den wir den Sprungantrieb steuern, bleibt hartnäckig dunkel. Vermutlich sind die Maschinen unter der Belastung des Starts durchgebrannt.

Die Energie, die nötig ist, um ein Sprungfenster zu öffnen, durch das unser Schiff paßt, steigt in der Nähe großer Massen stark an. Ein Überriese stellt eine sehr große Masse dar, also können wir uns freuen, dort überhaupt weggekommen zu sein.

Derzeit wäre eine Masse in der Nähe aber wieder hilfreich. Sie muß zwischen der eines Planeten und der eines kleinen Mondes oder Planetoiden liegen, so daß die HARKONNEN darauf landen kann. Körper dieser Größenordnung sollten in der Karte verzeichnet sein.

Ich frage also zuerst das Schiff nach größeren Himmelskörpern in der Umgebung, die in der Karte verzeichnet sind. Die Antwort benötigt nur einige Sekunden: außer einer Wolke von Kometen und einem dünnen Asteroidenfeld gibt es im Umkreis von einem Lichtjahr nichts. Das hatte ich schon befürchtet. Wir treiben mit der Geschwindigkeit und Fahrtrichtung, die wir vor dem vorletzten Sprung erreicht haben, durch den erschreckend leeren interstellaren Raum.

Jetzt starte ich den eigentlichen Scan. Das Schiff sucht nun in allen Spektralbereichen aktiv nach Objekten, die in der Karte nicht verzeichnet sind. Das wird einige Stunden dauern. In dieser Zeit wärme ich mein Fertigmenü noch einmal auf, sehe mir danach auf der Brücke die Zustandsberichte der Schiffsbereiche an und starte eine Magnetdrohne, die mir einen Blick von außen auf den Frachter liefert.

Unsere ehemaligen Passagiere im Andockring haben nicht leiden müssen. Ihre Kapseln sind geplatzt wie Seifenblasen. Die enorme Hitze muß sie in Sekundenbruchteilen getötet haben. Wo die Außenhülle aus Verbundwerkstoffen besteht, sind keine äußeren Beschädigungen zu erkennen. Wo sie aus Metall besteht, ist sie aber auf der dem Überriesen zugewandten Seite angeschmolzen und das Metall sieht aus wie eine Eiskugel, die zu lange in der Sommersonne gelegen hat. Das war verflucht knapp. Mir läuft noch im nachhinein ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

Herb kommt aus dem Maschinenraum zurück. Er bewegt sich etwas unsicher. Die Arbeit in Schwerelosigkeit hat seinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigt. Mit dem Geräusch eines Crescendos aus dutzenden Kastagnetten plaziert er sich in ein Gestell, das nach seinen Maßstäben wohl einem Stuhl entspricht.

»Waren das Deine Gelenke?«

»Blödmann.« Gelenke sind in Herbs Körperbau ebensowenig vorgesehen wie ein Hals. Wahrscheinlich hat er nur geseufzt. »Hast Du einen Landeplatz für uns gefunden?«

Wie auf Kommando erklingt ein Quittungston. Das Schiff hat seinen Scan beendet. Ich überfliege den Bildschirm und zeige ihn ihm dann.

»Das hatte ich befürchtet.«

»Kannst Du den Antrieb denn reparieren?«

»Wahrscheinlich. Sofern wir irgendwoher Schwerkraft bekommen. Ich mußte mich trotz der Magnetschuhe zweimal übergeben. Einen ganzen Arbeitstag halte ich das nicht aus.«

»Ich könnte das Schiff anweisen, enge Kreise zu fliegen.«

»Das funktioniert nur, wenn wir gleichzeitig die Schiffsrotation stoppen. Dann zieht aber fast überall im restlichen Schiff die Schwerkraft in eine andere Richtung als sonst. Das wird verflucht anstrengend für uns beide.«

Er hat recht. So viele Medikamente, wie wir dann bräuchten, um die Störung unseres Gleichgewichtssinnes zu kompensieren, gibt es in der Bordapotheke nicht. So sitzen wir eine Weile schweigend beieinander und jeder sucht für sich nach einer Lösung des Dilemmas.

Ein Warnton unterbricht unsere Grübelei. Das Schiff meldet eine leichte Kursänderung. Wir ignorieren sie. Dann ertönt die Warnung aber ein zweites Mal.

»Warst Du das?«, fragt Herb.

»Nein. Ich dachte, Du hättest unten den konventionellen Antrieb gestartet.«

»Nichts habe ich. Wir treiben immer noch im Raum.«

Ich korrigiere den Kurs mit den Manövrierdüsen, auch wenn es eigentlich egal ist, in welche Richtung wir treiben. Aber schon kurze Zeit später meldet das Schiff die nächste Kursänderung.

»Irgendetwas scheint uns in Richtung des Kugelsternhaufens zu ziehen.« Ich checke noch einmal die Sensoren, aber sie zeigen weiterhin nichts an. »Der Haufen ist aber viel zu weit entfernt, als daß wir seine Gravitation hier spüren würden.«

Herb versinkt für einige Minuten in einem katatonischen Zustand. Er läßt seine Tentakel schlaff herunterhängen und wirkt, als könne man ihn mit einem leichten Stubs vom Hocker kippen. Ich kenne das von früher. Er hat gerade eine Eingebung und denkt intensiv darüber nach. Dann beugt er den Oberköper, so daß er beide Augenpaare auf mich richten kann:

»Ich habe den seltsamen Kurs unserer letzten beiden Sprünge durchgerechnet. Wir befinden uns in etwa an der Stelle, an der unser Sprung den Kurs geändert hat. Das bedeutet, daß sich die Masse, die unseren Sprung gestört hat, ganz in der Nähe befinden muß. Vielleicht ist sie es, die uns ablenkt.«

»Unsere Sensoren zeigen aber nichts an. Was für eine Masse kann das sein, die wir mit den Sensoren nicht wahrnehmen können? Dunkle Materie? Ein schwarzes Loch?«

»Weder noch. Dunkle Materie ist gleichmäßiger verteilt und ein schwarzes Loch hätte eine Akkretionsscheibe und die würde strahlen. Wir müßten es sehen können.«

»Wie sieht diese hypothetische Masse dann aus?«

»Keine Ahnung. Vermutlich klein und dunkel. Vielleicht ein Neutronenstern.« Herb wirkt genauso ratlos wie ich.

Wieder sitzen wir eine Weile still da und ignorieren die weiteren Kursänderungen, die das Schiff meldet. Unsere virtuellen Außenbildschirme werden uns vom Schiff so berechnet, daß sie immer in die gleiche Richtung zeigen. Die Software kompensiert die Rotation des Frachters und etwaige Kursänderungen automatisch, damit wir uns nicht wie in einem Karussell fühlen. Daher ist ein Bildschirm immer noch auf den Kugelsternhaufen gerichtet. Ich kann meinen Blick nicht von diesem prachtvollen Anblick lösen. Vielleicht sollte ich das Panorama ausdrucken und in meiner Kabine aufhängen, überlege ich.

Dann bleibt mein Auge plötzlich an einem Detail hängen.

Wunder der Apokalypse - Leseprobe
Wunder der Apokalypse – Leseprobe 4

»Ich… ich glaube… ich habe… die unsichtbare Masse gefunden«, stottere ich und zeige mit dem Finger auf ein kleines schwarzes Scheibchen, das sich vor dem Kugelsternhaufen deutlich abzeichnet. »Das scheint mir aber doch ein schwarzes Loch zu sein.«

»Quatsch!« Herb hat sofort geschaltet und kontrolliert bereits die Instrumente. »Wäre es ein schwarzes Loch, dann müßte man einen Einsteinring um seinen Rand sehen. Das hier ist etwas anderes.«

»Was könnte es dann sein?«

»Keine Ahnung.« Das scheint in letzter Zeit sein Lieblingsspruch zu sein. »Wenn ich die Stelle direkt anpeile, sehe ich eine schwache Signatur im Infrarot. Sehr schwach, sie hebt sich kaum vom Hintergrundrauschen ab. Wir müssen näher ran.«

Ich weise das Schiff an, den Antrieb zu starten und das schwarze Scheibchen direkt anzusteuern. Die Motoren des konventionellen Antriebs zeigen ihre Arbeit durch ein Vibrieren der Schiffsstruktur und bald spüren wir die Beschleunigung.

»Hoffentlich ist es nicht auch Lichtjahre weg.«

»Das glaube ich nicht«, sagt Herb. »Schau mal, es wird bereits größer.«

Ich sehe genau hin, und tatsächlich scheinen zwei Sterne des Haufens, die sich besonders nahe dem Rand der Scheibe befinden, plötzlich zu verlöschen. Die dunkle Fläche wächst also tatsächlich.

»Das wird jetzt eine Weile dauern«, sagt Herb. »Geh schlafen. Ich habe noch zu tun und möchte allein sein. Morgen sehen wir weiter.«

Das Konzept morgen ist im All auch relativ, da es weder Tag noch Nacht gibt, wie es die meisten Spezies von ihren Heimatplaneten gewöhnt sind. Man ist übereingekommen, eine Zeitrechnung einzuführen, die in Perioden von etwa sechs Stunden eingeteilt ist. Jedes Volk sucht sich das Vielfache dieser Grundperiode aus, das ihren eigenen Zyklen am nächsten kommt.

Bei mir sind es 24 Stunden. Herb ist einen 36-Stunden-Tag gewohnt. Spezies, die auf sehr jungen Planeten mit schneller Rotation oder in binären und ternären Systemen leben, benötigen 6, 12 oder 18 Stunden, andere entsprechend mehr. Diejenigen, die Winterschlaf halten oder Planeten mit gebundener Rotation bewohnen, empfinden das Verstreichen der Zeit sowieso völlig anders als wir und müssen sich irgendwie einpassen.

Ich mache mir etwas zu essen und sehe mir einen Film aus der Konserve an. Aktuelle Nachrichten werden wir mangels Hyperfunk bis auf weiteres entbehren müssen. Mein Schlaf ist nicht ruhig. Dafür ist zuviel passiert. Ich träume lebhaft von schwarzen Löchern und Wurmlochmonstern, die das Schiff verschlingen wollen.

Als ich am Morgen aufwache, fühle ich mich aber dennoch einigermaßen erholt. Ich hole mir einen Snack aus der Küche und laufe dann bewaffnet mit einem großen Becher Instantkaffee auf der Brücke auf. Herb ist immer noch in die Instrumente vertieft und hält mir grüßend einige seiner Tentakel entgegen. Ich widerstehe dem Impuls zum Händeschütteln – dies wäre in seiner Vorstellungswelt ein persönlicher Affront – und setze mich ihm gegenüber.

»Das gibts Neues, Wächter der Ewigkeit?«

Die Anrede scheint ihn zu amüsieren, denn er gibt ein röchelndes Geräusch von sich, das Seinesgleichen als Kichern verstehen.

»Es ist künstlich«, sagt er dann.

»Ein Raumschiff?«

»Viel zu groß.«

»Wie groß?«

»5 Millionen Kilometer Durchmesser.«

»Das ist viel.«

Ich betrachte die scheibenförmige Verdunklung, die mittlerweile einen größeren Teil des Kugelhaufens verdeckt und sichtbar schneller wächst als am Vortag.

»Ist es eine Sphäre?«, frage ich dann.

»Ja.«

»Warum meinst Du, daß sie künstlich ist?«

»Weil sie hohl ist. Ein kompakter Körper dieser Größe würde sofort zu einem schwarzen Loch zusammenstürzen.«

Das ist zu viel Input für die Tageszeit. Ich trinke einige Schlucke Kaffee und sortiere das, was von meinen Gedanken schon da ist. Dann kontrolliere ich die Anzeigen der Instrumente in meiner Nähe. Mir fällt auf, daß die einzigen Objekte, die mir gestern nach dem Scan angezeigt wurden, sich jetzt in relativer Nähe befinden. Der Schwarm Kometen und das Asteroidenfeld sind aus der Nähe nämlich ringförmig und kreisen um das dunkle Objekt vor uns. Die Asteroiden befinden sich dabei innen und die Kometen außen.

Diese Formation erinnert mich an irgendetwas. Ich komme nur nicht drauf.

»Wann erreichen wir die Sphäre?«

»Nachdem ich geschlafen habe. Ich leite nur eben das Bremsmanöver ein. Danach hast du die Brücke.«

Tatsächlich wechselt die Beschleunigung plötzlich die Richtung. Herb steht auf und verschwindet grußlos. Ich rufe mir seine Aufzeichnungen auf meinen Bildschirm. Er hat sicherlich mehr herausgefunden als das, was er mir gerade erzählt hat, und überläßt es jetzt mir, seine Ergebnisse zu überprüfen.

Die Sphäre ist jetzt auch im Infrarot aufgrund ihrer Größe gut sichtbar. Sie strahlt völlig gleichmäßig und verhält sich beinahe wie ein schwarzer Körper. Ihre Temperatur liegt nur wenig über der des kosmischen Hintergrunds. Was auch immer da drin ist, hat sich fast perfekt vor dem Rest des Universums abgeschirmt. Nur weil wir nach kosmischen Maßstäben direkt darüber gestolpert sind, hat die Sphäre ihre Existenz durch ihre Schwerkraft verraten.

Aufgrund der Auswirkung unserer Kursänderungen konnte Herb die Masse der Sphäre errechnen. Sie wiegt gut halb so viel wie unsere Sonne. Das ist mehr als genug, um unser Schiff aus der Bahn zu werfen, wenn der Sprung zu dicht daran vorbeigeht. Ich versuche über Stunden, diese Informationsbruchstücke in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Ein wenig wirkt dieses Ensemble aus Asteroidengürtel, Kometenwolke und Zentralkörper auf mich, wie die kümmerlichen Reste eines ehemaligen Planetensystems.

Das Wort Planetensystem bringt mich auch auf die Idee, um was es sich bei diesem ominösen sphärischen Zentralkörper handeln könnte. Es gibt sogar ein Wort dafür. In der Frühzeit unserer Entwicklung, als alles, das heute geschieht, noch Science-Fiction genannt wurde, haben sich die Schriftsteller eine ganze Menge verrückter Dinge ausgedacht.

Eines davon war die Dyson-Sphäre. Dabei handelt es sich um ein Konzept, die gesamte Energie einer Sonne einzufangen, indem man das System mit einer mechanischen Sphäre umgibt. Je nach Konstruktion der Sphäre, einer eventuellen Rotation und ihrer Entfernung zum Zentralgestirn konnte man auf ihrer Außen- oder Innenseite sogar leben.

Natürlich lassen die physikalischen Gegebenheiten die Konstruktion einer Sphäre um beispielsweise unser Sonnensystem nicht zu. Sie wäre einfach zu groß. Es gibt auch heute keine Materialien, die einer derartigen Belastung dauerhaft standhielten, ganz abgesehen davon, daß diese Werkstoffe auch in Mengen vorhanden sein müßten, die dem Inhalt eines kleinen Asteroidengürtels…

Könnte das sein? Die Asteroiden befinden sich mittlerweile so nahe, daß ich sie genauer scannen kann. Genau genug, um ihren Metallgehalt abzuschätzen. Vor allem Eisen ist dort immer in erheblichen Mengen vorhanden.

Ich scanne also auf Eisen. Minutenlang messen die verbliebenen Sensoren. Dann lese ich die Ausgabe:

‘Eisengehalt unterhalb der Nachweisgrenze.’

Ein weiteres Indiz. Möglicherweise wurde das fehlende Metall für die Konstruktion der Sphäre verwendet. Das führt zwangsläufig zur nächsten Frage: Was befindet sich in ihrem Inneren? Der Durchmesser der Erdbahn beträgt 300 Millionen Kilometer. Selbst wenn der Stern im Inneren der Sphäre deutlich kleiner ist als unsere Sonne, ist die Sphäre viel zu klein. Ich bezweifle, daß die hypothetischen Bewohner und die Materialien, die sie nutzen, Temperaturen im vierstelligen Bereich angenehm finden würden. Keine der heute bekannten Spezies kann bei Temperaturen über 400 Grad Kelvin existieren. Irgendwo muß also noch ein Denkfehler sein.

Herb betritt die Brücke. Zum Glück hat er keine 18 Stunden geschlafen, sondern lediglich 6.

»Und? Wie lautet die Lösung unseres Rätsels?«

»Es handelt sich wahrscheinlich um eine Dyson-Sphäre.«

»Daii-sonn?« Das Wort gibt es in galaktischem Standard natürlich nicht.

»Die Sphäre wurde von einer intelligenten Spezies um ein ganzes Sonnensystem herum errichtet.«

»Ein Sonnensystem? Das kann bei der geringen Größe aber nur ein weißer Zwerg sein.«

Plötzlich erklärt sich alles. Herbs Bemerkung sollte ein Scherz sein, aber genau das ist die Lösung des Rätsels! Als weiße Zwerge bezeichnet man das Endstadium der Entwicklung einer Sonne. Wenn ein Stern all seinen Brennstoff verbraucht hat, bläht er sich zuerst zu einem roten Riesenstern auf und zieht sich danach zu einem weißen Zwerg zusammen, mit der gesamten verbliebenen Masse konzentriert in einer Kugel von Planetengröße.

»Und wenn?« frage ich. »Ein weißer Zwerg kühlt doch nur ganz langsam ab, über Jahrmilliarden von Jahren. Mit solch einer Sphäre drumherum, die so wenig Energie hindurchläßt, dauert es bestimmt noch viel länger. Letztlich ist er als Energiequelle mindestens genauso geeignet, wie eine Sonne und im Gegensatz zu unserem Sonnensystem liegt eine Dyson-Sphäre um einen Weißen Zwerg konstruktionstechnisch im Bereich des Möglichen.«

»Ein weißer Zwerg besitzt aber keine Planeten in der bewohnbaren Zone. Die Bewohner müßten also auf oder in der Sphäre leben.«

»Die einzige Erklärung, die mir spontan einfällt, ist, daß eine Spezies aus einem anderen System sich hier angesiedelt hat. Keine hier aufgewachsene Zivilisation könnte die Phase überleben, in der sich ihre Sonne zu einem roten Riesen aufbläht.«

»Das alles schließt Du aus dem Vorhandensein dieser Sphäre?« Herb will spöttisch klingen, aber ich merke, daß er beeindruckt ist.

»Wenn Du eine andere Lösung weißt, die Fakten mit Sinn zu füllen…«

Herb schweigt. Wir nähern uns dem Asteroidengürtel gerade bis auf Sichtkontakt. Die Gelegenheit, sich einige größere Exemplare genauer anzusehen. Ich zoome näher ran. Die größeren Asteroiden sind durchlöchert wie Schweizer Käse. Die gleichen Spuren von Schürftätigkeit habe ich in dem Asteroidengürtel um die Station gesehen, in der die HARKONNEN wieder instandgesetzt wurde. Nur hat man hier offensichtlich besser aufgeräumt, als die Schürfer das heute tun. Oder es ist einfach viel länger her. Jahrmillionen oder sogar Jahrmilliarden. Hier draußen halte ich alles für möglich.

Der Bremsvorgang dauert einige Tage länger als die Beschleunigung. Anscheinend haben wir uns von Anfang an durch unser Ursprungstempo mit erheblicher Geschwindigkeit aufeinander zubewegt. So findet auch Herb noch Zeit für einen längeren Schlafzyklus.

Schließlich verdeckt die Sphäre den kompletten Kugelsternhaufen im Hintergrund. Daß wir ihr durch unseren fehlgeleiteten Sprung so nahe gekommen sind, daß wir sie mit einem konventionellen Antrieb in derart kurzer Zeit erreichen, ist ungefähr so wahrscheinlich wie das Kasino auf einer Raumstation mit einem Gewinn zu verlassen.

Ich mache mir Sorgen, daß Herb sich mit der Gegenbeschleunigung zum Bremsen verrechnet hat und wir jetzt gegen sie Sphäre prallen. Zum Glück äußere ich sie nicht. Herb wartet nur darauf, daß ich die Nerven verliere. Sein Kommunikationsmund verzieht sich auch so zu etwas, das ich als spöttisches Grinsen interpretiere.

Ich überwache aber permanent die Sensoren. Falls die Kugel bewohnt ist, hat man uns vielleicht bemerkt. Aber die Stunden vergehen, ohne daß ich irgendetwas Ungewöhnliches feststelle. Im Gegenteil erscheint die Oberfläche der Sphäre so gleichmäßig schwarz, als wäre da einfach ein Loch am Firmament. Ein Loch, das mittlerweile fast die Hälfte des Himmels ausfüllt, so nahe sind wir der Sphäre jetzt.

Auf mich wirkt es beängstigend und in meinem Magen bildet sich ein flaues Gefühl, so als würde ich gleich hineinfallen.

»Wie haben die das bloß hingekriegt?« frage ich. »Man müßte doch auf diese Entfernung eine Struktur erkennen können, oder wenigstens ein paar Reflektionen.«

»Die Albedo hat einen Wert unter 0,01.«

»Wow!« Diese Fläche reflektiert nur 1 Prozent des einfallenden Lichtes. Ein so tiefes Schwarz kenne ich nicht. Wer auch immer die Sphäre gebaut hat, ist oder war uns technisch weit voraus. »Solch einen Aufwand treibt doch nur jemand, der auf keinen Fall gefunden werden will.«

»Klingt nach einer spannenden Geschichte.« Herb wendet sich mir zu. »Wenn Du willst, daß ich den Antrieb repariere, solltest Du das Schiff jetzt landen.«

»Und hoffen, daß die Sphäre nicht rotiert, damit wir etwas Schwerkraft haben«, ergänze ich.

»Oh, die Sphäre rotiert nicht und wir werden mehr als nur etwas Schwerkraft haben.«

»Woher weißt Du das?«

»Intuition.«

Ich bin mir sicher, daß es sich nicht um Intuition handelt, sondern daß Herb es weiß. Wir befinden uns mittlerweile relativ zur Sphäre in Stillstand und schweben in einigen hundert Metern Abstand vor ihr. Leider bedeutet das nicht, daß wir jetzt etwas von ihr sähen. Vor uns befindet sich nichts als tiefes Schwarz. Ich fahre also die Landestützen aus, stoppe die Rotation und bringe das Schiff mit den Manövrierdüsen näher heran. Aber selbst das normalerweise blendend helle Licht der Landescheinwerfer verschwindet im Nirgendwo. Damit wir nicht auf der Sphäre aufprallen, muß ich mir etwas einfallen lassen.

Ich behelfe mich, indem ich etwas Atmosphäre aus einem der Laderäume ablasse. Der darin enthaltene Wasserdampf kondensiert im Weltall sofort zu kleinen Eiskristallen. Durch den entstehenden Nebel sehe ich jetzt wenigstens die Strahlen der Scheinwerfer. Dort, wo sie abrupt enden, muß sich die Oberfläche der Sphäre befinden. Meter für Meter nähert sie sich, aber erst, als wir sie schon beinahe berühren, erkenne ich endlich etwas im Licht der Scheinwerfer und kann das Schiff punktgenau stoppen.

Mit einem sanften Ruck setzen wir auf und die wechselnden Beschleunigungen während der Landephase weichen tatsächlich einer moderaten Schwerkraft. Sie ist nicht so hoch, wie wir sie auf dem Schiff haben, aber genügt, damit wir uns problemlos orientieren und arbeiten können.

Dies ist unsere erste gemeinsame Landung auf einem Objekt mit Schwerkraft. Die üblichen Andockprozeduren auf den Raumstationen, die wir auf unserer Route besuchen, erscheinen mir wesentlich simpler und ich atme einmal tief auf, als wir endlich unten sind.

»Mir scheint, Du hast auf der Flugschule aufgepaßt.« Aus Herbs Mund ist das ein großes Lob. »Dann werde ich mich in den nächsten Tagen dem Antrieb widmen können.«

»Kann ich Dir helfen?« Meine Frage ist rhetorisch, denn Herb hat sich meine Hilfe im Maschinenraum ja bereits verbeten.

»Du kannst hier alles am Laufen halten und dafür sorgen, daß ich etwas Anständiges zu essen bekomme. Ich habe sehr wohl bemerkt, daß Du wieder Wasabufleisch organisiert hast.«

Ich erröte. Eigentlich wollte ich ihn damit überraschen und ich bin mir sicher, daß er nicht gesehen hat, wie ich es an Bord geschafft habe. Vermutlich hat er es gerochen. Sein Geruchssinn reagiert zwar sehr individuell – manche Dinge nimmt er überhaupt nicht zur Kenntnis – aber daß er seine Lieblingsnahrung bemerkt, hätte ich mir denken können.

»Ich weiß nicht, wovon Du redest.«

»Und komm nicht auf die Idee, Kontakt mit wem-auch-immer unter uns aufnehmen zu wollen, während ich im Maschinenraum arbeite. Der Plan lautet: Wir sind ganz still, reparieren das Schiff, fliegen dann wieder weg und überleben. Du hast uns schon mehr als einmal mit Deiner Neugier in Schwierigkeiten gebracht.«

»Ich weiß nicht, wovon Du redest.«

»Ja-ja, Du mich auch.«

Mir ist klar, daß Spezies, die um keinen Preis gefunden werden wollen, wahrscheinlich humorlos auf Besuch von außen reagieren. Herb hat da völlig recht und ich werde daher schön an Bord der HARKONNEN bleiben und mich mucksmäuschenstill verhalten. Das nehme ich mir fest vor.

Meine guten Vorsätze werden allerdings schon am ersten Tag auf die Probe gestellt. Ich versuche mit Hilfe der Schiffssensoren, einen Scan der Oberfläche zu erhalten und scheitere. Das Material absorbiert alle elektromagnetischen Wellenlängen, die die Scanner zu bieten haben. Das ist weit mehr als ein simpler schwarzer Anstrich. Ich frage mich, mit welcher atomaren Struktur sie eine solch vollkommene Absorption erreichen.

Ich entscheide mich, die Magnetdrohne einzusetzen und eine Probe des Materials zu nehmen. Die Auslaßklappe öffnet sich und sie fliegt langsam hinaus. Sie benutzt ihren Ionenantrieb, um sich einige Meter über dem Boden zu halten, fliegt etwa hundert Meter und setzt dann sanft auf dem Boden auf. Ich sitze auf der Brücke und beobachte die Anzeigen, die mir von der Drohne übermittelt werden.

Die Sonde verankert sich mit Saugnäpfen am Boden, ein Konstruktionsprinzip, das Herbs Rasse bis zur Vollendung perfektioniert hat. Selbst wenn der Boden nicht so glatt wäre wie hier, würde die Sonde mit einer Kraft am Boden haften die dem tausendfachen ihrer Eigenmasse entspräche. Genügend Kraft, um als Verankerung für den Diamantbohrer zu fungieren, den sie jetzt ausfährt.

Der Bohrer beginnt sich zu drehen. Langsam nähert er sich der Oberfläche. Als er sie berührt, geschieht zunächst nichts. Ich beobachte die Eindringtiefe in das Material. Sie bleibt konstant bei Null, selbst als die Drohne den Anpreßdruck bis zum Maximum hochfährt. Verflucht, das Material ist härter als Diamant!

Dann meldet sich aber eine andere Anzeige. Das Schiff scannt die Oberfläche der Sphäre rund um uns herum, damit wir sofort starten können, falls etwas Unerwartetes geschieht. Auf dem Infrarotmonitor sehe ich, daß ein kreisrunder Bereich rund um die Sonde herum sich plötzlich und sehr schnell erwärmt. Schon nach wenigen Sekunden ist er so heiß, daß ich den Bereich ohne Infrarotdetektor sehen kann. Sofort breche ich die Bohrung ab, lasse die Sonde die Verbindung lösen und von der Oberfläche abheben. Dann starte ich das Schiff, um notfalls wegfliegen zu können.

Die Sonde schwebt einige Meter über der Oberfläche, als sich unter ihr eine Öffnung bildet. Die mittlerweile weißglühende Oberfläche verschwindet, als hätte es sie nie gegeben.

In diesem Augenblick stürmt Herb auf die Brücke. Zwar bewegt er sich beinahe lautlos. Daß er sich beeilt, merke ich aber an dem Luftzug, den er mit sich führt.

»Ich hoffe, das war es wert. Mein Mittagessen schwebt jetzt zwischen den Generatoren herum.«

»Tut mir leid, aber draußen tut sich etwas.«

»Was hast Du angestellt?«

»Gar nichts. Ich habe nur eine Drohne…«

»Wie lautete die Abmachung?«

»Ich bleibe an Bord und verhalte mich mucksmäuschenstill.«

»Und?«

»Ich habe doch nur ein wenig gescannt.«

»Warg Bolton. Bericht!«

Wenn er mich bei meinem vollen Namen nennt, kann ich mich auf eine Gardinenpredigt gefaßt machen. Nicht jetzt. Jetzt müssen wir überleben. Aber irgendwann danach. Ich seufze und finde mich innerlich damit ab. Schließlich hat er recht.

»Die Sonde sollte nur eine Probe nehmen. Die Sphäre ist dummerweise härter als ihr Diamantbohrer. Möglicherweise haben wir dadurch jemanden geweckt.«

»Nur eine Probe… okay. Wenn die Sonde aber schon so schön über diesem Loch steht, schalte wenigstens die Telemetrie ein.«

»Ich gehorche wortlos und wir sehen das Kamerabild der Sonde, wie sie in das Loch hineinblickt. Aus ihrer Position sieht es eher aus wie ein langer Tunnel. Ich zoome in den Tunnel hinein und wir sehen, wie über die Tunnelwände elektrische Entladungen zucken. Was für ein Tunnel das auch ist, er verbraucht viel Energie.

Beim weiteren Hineinzoomen scheinen die Tunnelwände ihre Integrität zu verlieren. Aus der Nähe wirken sie eher wie ein Schlauch aus sehr dichtem Nebel. Die Entladungen scheinen sich innerhalb des Nebels zu befinden und erhellen ihn für kurze Augenblicke. Ich habe so etwas noch nie gesehen und auch Herbs Tentakel zucken ratlos hin und her.

Ganz weit hinten im Tunnel, auch unter der Vergrößerung kaum zu erkennen, sehen wir ein kleines, helles Scheibchen. Vielleicht ist er dort zu Ende. Was sich an dieser Stelle befindet, ist aber beim besten Willen nicht zu erkennen. Ich schalte den Bildschirm ab und beordere die Sonde zurück. Sobald sie wieder in ihrer Luke verschwunden ist, beginnt sich der Tunnel zu schließen. Nach einer Minute ist alles vorbei und wir blicken wieder ins Nichts.

»Was kann das gewesen sein?«, fragt Herb.

Ich traue mich nicht, meine Vermutungen als erster zu äußern. Auch bei uns auf der Brücke knistert die Luft, denn Herb ist sauer. Zu Recht, wie ich mir eingestehen muß. Also beobachte ich mit Sorge, wie seine Tentakel unkontrolliert zucken. Schließlich wickelt er sie wieder so eng um seinen Körper, daß sie beinahe in den Hautwülsten verschwinden, die sich beim Wickeln bilden. Ich blicke verlegen zu Boden und warte, was er als nächstes sagt.

Die Sekunden dehnen sich zu Minuten und die Minuten zu Viertelstunden. In mir reift die Erkenntnis, daß ich es diesmal wirklich übertrieben habe. Aber wie auch immer es ausgeht, ich muß da jetzt durch. Ohne Herb kommen wir hier nicht lebend raus.

Mit mir vielleicht auch nicht.

»Ich verstehe nicht, wie Deine Spezies so lange überlebt hat.«

Wieder herrscht eine Weile Schweigen. Ich sehe aber aus dem Augenwinkel, daß Herbs Körper sich langsam entspannt und die Tentakel sich Stück für Stück wieder abwickeln. Schließlich traue ich mich und blicke wieder auf. Der Anblick seines Körpers mit den tiefen Striemen verstört mich.

»Warum tust Du das, das mit Deinen Tentakeln?«

»Weil ich es sonst mit Dir tun würde.«

»Das finde ich nicht gerade zivilisiert.«

»Was erwartest Du? Du hast Dein Wort gebrochen und uns einer unkalkulierbaren Gefahr ausgesetzt. Es ist ein Wunder, daß nichts Schlimmeres geschehen ist.«

Ich spüre, daß er immer noch wütend ist. Ich muß es irgendwie schaffen, mich so weit zurückzunehmen, daß wir auch weiterhin miteinander zurechtkommen.

»Sag Du, was wir machen, Herb« sage ich so demütig, wie ich kann.

Ich blicke wieder zu Boden und warte auf seine Entscheidung. Er läßt mich noch eine Weile schmoren. Dann höre ich ihn tief Luft holen.

»Erstens: Ich repariere den Sprungantrieb.«

»Und zweitens?«

»Zweitens: Du tust nichts. Ich repariere den Antrieb. Wir starten das Schiff und ich berechne den ersten Sprung. Danach beraten wir, ob wir die Sphäre noch einmal kontaktieren. Entscheiden werde ich. Hast Du das verstanden?«

Ich nicke schweigend.

»Okay.« Herb erscheint jetzt wieder etwas besänftigt. »Du darfst Dir ruhig Gedanken machen. Ich würde ungern auf Deine bizarren Vorschläge verzichten.«

Hat Herb gerade einen Scherz gemacht? Sicher bin ich mir nicht. Also bemühe ich mich, freundlich zu lächeln. Seine subtile Drohung, was er bei meinem nächsten Fehler mit mir anstellen wird, zeigt mir, daß ich ihn immer noch zu sehr vermenschliche. Er tickt völlig anders als ich und die einzige Brücke zwischen uns besteht aus einem Satz simpler Regeln formuliert in galaktischem Standard. Regeln, die ich andauernd breche, weil ich von mir auf andere schließe.

Ich überlege, ob ich mich entschuldigen soll, aber auch dieses Konzept kommt in den Regeln nicht vor. Wenn man sich selbst bei manchen Menschen mit einer Entschuldigung in die Nesseln setzen kann, kann Herb das eigentlich nur mißverstehen.

Ich verzichte darauf und widme mich lieber den Telemetriedaten, die ich in der Zwischenzeit aus den Speichern der Sonde heruntergeladen habe. Herb verläßt seinerseits wortlos den Raum mit einem Geräusch, bei dem ich bete, daß es sich nicht um Blähungen handelt.

In den nächsten Tagen reiße ich mich zusammen. Wir landen wieder auf der Sphäre. Herb verbringt seine Wachphasen im Maschinenraum. Ich bewache die Brücke und scanne die Umgebung auf Auffälligkeiten. Die Sphäre verhält sich wieder so, als würde sie nicht existieren. So suche ich nach weiteren Himmelskörpern in diesem System, irgend etwas, das mir Aufschluß gibt über seine Geschichte, finde aber erschreckend wenig.

Planeten gibt es schon einmal gar keine. Nur dieser kleine Asteroidengürtel zieht weit draußen eine Bahn. Das ist nichts Besonderes. Nicht alle Sterne entstehen aus derart dichten Materiewolken wie unsere Sonne oder sie blasen ihr Planetensystem am Ende ihres Lebens einfach in einer Supernovaexplosion in den Weltraum. Nur dieser ausgeschlachtete Haufen Steine, der in respektvoller Entfernung um seinen gemeinsamen Schwerpunkt kreist, kündet von der wahrscheinlich bewegten Geschichte des Systems, in dem er vielleicht einmal Teil eines Planeten war.

Auffällig ist lediglich, daß alle diese Steine beinahe kreisförmigen oder nur leicht elliptischen Bahnen folgen. Es gibt keine Irrläufer, die Gefahr laufen könnten, einmal auf die Sphäre zu stürzen. Auch die Kometen weit draußen trauen sich anscheinend nicht in den inneren Bereich. Gut, wäre es anders, wäre dieser Sphäre vermutlich kein langes Leben beschieden. Daß ihr Material einem Diamantbohrer standhält bedeutet nicht, daß auch ein Asteroid oder ein Komet bei seinem Aufprall keinen Schaden anrichten würde. Vermutlich wurde das Umfeld der Sphäre bei ihrem Bau über Jahrtausende oder vielleicht sogar Jahrmillionen allmählich von diesen Körpern gereinigt. Entweder hat man ihr Material zum Bau verwendet oder man hat sie zwecks Energiegewinnung einfach in den Stern stürzen lassen.

Die Aufzeichnungen der Sondentelemetrie bringen mir nur wenig Neues. Ich frage mich, warum sich die Sphäre geöffnet hat, aber keinerlei weitere Aktion erfolgte. Solch ein Verhalten ist weder aggressiv noch defensiv. Vielleicht ist es eine Einladung, hindurchzufliegen und was-auch-immer-auf-der-anderen-Seite-wartet zu besuchen?

Nachdem über Tage nichts geschieht, entscheide ich, daß ich die Brücke für eine Stunde alleinlassen kann. Vielleicht kann ich den Draht zu Herb mit einer Mahlzeit aus Wasabufleisch wieder verbessern. In den letzten Tagen gab es nur Fertigmenüs für uns beide.

Tatsächlich habe ich das Fleisch kaum in der Pfanne, als er auftaucht.

»Ich dachte schon, Du kommst nie drauf. Fang nicht ohne mich an. Ich mache mich nur ein wenig frisch.«

Ich habe keine Ahnung, was ‘Frischmachen’ für seine Spezies bedeutet. Ich habe noch nie bemerkt, daß er sich wäscht oder in anderer Form seinen Körper pflegt.
Eine Stunde später sitzen wir auf der Brücke. Herb ißt wieder, als hätte er sich den restlichen Hunger seines Lebens für diesen einen Moment aufgespart und als gäbe es nie wieder eine Mahlzeit. Bei aller Verwunderung über seinen Eßstil fällt mir aber ebenfalls auf, daß seine Haut einen frischeren Farbton aufweist als vorher. Zu fragen, ob er sich gewaschen hat, traue ich mich beim derzeitigen Stand unserer Beziehung nicht, aber er bemerkt wohl meinen fragenden Blick.

»Neuer Anzug.«

»Anzug…« Beim letzten Mal, als er den Kälteschutzanzug erwähnt hat, habe ich es für einen Scherz gehalten.

»Wie glaubst Du«, dabei wedelt er mir mit seinen Tentakeln vor der Nase herum, »kann ich sonst eine Körpertemperatur von 318 K aufrechterhalten in dieser Kühlzone, die ihr anderen gemütlich schimpft.«

Ich senke meinen Blick. In letzter Zeit bringt er es immer wieder fertig, mich zu überraschen. Zumindest bessert meine Aktion seine Laune erheblich und als wir danach zusammen auf der Brücke sitzen, wirkt er beinahe aufgeräumt. So traue ich mich, ihn wieder auf die mögliche Erforschung der Sphäre anzusprechen.

»Warum startest Du nicht das Schiff?« entgegnet er zu meiner Verblüffung.

»Wie jetzt? Bist Du etwa schon fertig?«

»Schon seit vorgestern.«

»Warum erzählst Du mir das erst jetzt?«

»Du hast nicht gefragt.«

Vielleicht muß ich es wirklich aufgeben, seine Gedankengänge verstehen zu wollen. Bei unseren vergangenen Abenteuern hatte ich zwischendurch das Gefühl, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Derzeit ist es wohl besser, ich beschränke mich einfach auf die Regeln und erwarte, daß er das gleiche tut.

Ich starte also die Motoren des konventionellen Antriebs und bringe zwischen die HARKONNEN und die Sphäre einige hundert Meter Abstand. Danach starte ich den Hyperraumantrieb und öffne das Kommunikationsfenster. Die Motoren schnurren, als wären sie nie aus der Korona eines Überriesen gestartet. Es sieht so aus als könnten wir wieder jederzeit springen. Auf dem Infoboard wird der Download eines größeren Datenpakets angezeigt. Wir haben in den letzten Tagen sicherlich einiges verpaßt.

»Na los, starte schon Deine Sonde«, sagt Herb.

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und betrachte interessiert die Bildschirme, auf denen die Umgebung abgebildet wird.

»Fehlt etwas?« Ich habe es geschafft, ihn zu irritieren.

»Du hast gesagt, wir tun das erst, wenn Du Sprungkoordinaten berechnet hast.«

»Das habe ich doch schon längst.«

»Herb, ich mag in letzter Zeit einiges falsch gemacht haben, aber Kommunikation ist auch von Deiner Seite aus keine Einbahnstraße.« Ich finde, diese Retourkutsche hat er verdient. »Ich will mir alle Mühe geben, aber Du solltest das auch tun.«

Ich starte die Sonde. Herbs Tentakel zucken wieder durch die Gegend. Ich wünschte, ich könnte lesen, ob das Ärger ist oder ob ich ihn lediglich mit meinem Verhalten amüsiere. Vielleicht tut er mir ja den Gefallen und drückt sich in nächster Zeit weniger kryptisch aus.

Die Sonde nähert sich wieder der Oberfläche. Diesmal muß sie nicht erst den Bohrer ansetzen. Die Sphäre scheint sie zu erkennen und öffnet den Tunnel nach innen, noch ehe sie landen kann.

»Was meinst Du? Sollen wir sie hineinschicken?« Ich kontrolliere die Telemetrie und erhalte dieselben Meßwerte über diesen Tunnel wie beim letzten Mal.

»Ich programmiere sie für einen autonomen Flug einmal hinein und wieder heraus. Wir werden drinnen keine Funkverbindung haben.«

Ich bin froh, daß er das übernimmt. Der Tunnel ist nur wenig größer als die Sonde und seine Wände sehen nicht so aus, als sollte man ihnen zu nahe kommen. Herb bearbeitet den Bildschirm seines Tablets mit seinen Tentakelfingern, als würde er ihn putzen. Dann sendet er das Programm, das er in wenigen Sekunden geschrieben hat, zur Sonde. Sie setzt sich in Bewegung. Ganz langsam verschwindet sie in dem Tunnel. Wie erwartet bricht die Funkverbindung sofort ab.

Nur wenige Sekunden später schießt sie mit hoher Geschwindigkeit wieder aus der Öffnung und der Tunnel schließt sich, als hätte er niemals existiert.

»Sieht aus, als wären wir nicht willkommen.« Ich schnappe überrascht nach Luft.

»Dann hol sie mal wieder an Bord. Ich bereite alles zum Weiterflug vor.«

Ich lasse mir routinemäßig die Telemetriedaten überspielen, während die Sonde sich wieder an ihrem Ankerplatz verstaut. Dann stutze ich.

»Sag mal, wie groß ist noch mal das Programm, mit dem Du den Kurs der Sonde programmiert hast?«

»Kaum der Rede wert. Es sind nur eine Handvoll Anweisungen. Warum?«

»Weil die Speicher der Sonde voll sind, und zwar bis zum letzten Byte.«

Jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. Gemeinsam sehen wir die Aufzeichnungen durch.

»Hier sind jede Menge Telemetriedaten gespeichert.« Herb ist die Fassungslosigkeit anzumerken. »Das ist unmöglich.«

»Schauen wir sie uns an. Ich habe da eine Idee.«

Wir schalten die Außenkameras der Sonde auf die Bildschirme und spielen die Aufzeichnung ab. Wir sehen die HARKONNEN über der Sphäre schweben. Dann dreht sich die Perspektive und wir blicken in den Tunnel vor uns, in den wir langsam eintauchen. Er ist tatsächlich nur wenig größer als die Sonde. Die Wände sehen aus unmittelbarer Nähe noch gruseliger aus als auf der Vergrößerung bei unserem letzten Versuch.

Ein wenig wirkt es wie die Anzeigen der Bildschirme, während wir uns im Hyperraum befinden, nur daß das neblige Grau – das eigentlich nur die Abwesenheit von Farbe ist – eine unruhige Textur besitzt, in der sich einzelne magnesiumweiße Funken langsam entlang der Tunnelwand bewegen. Dadurch entsteht der optische Eindruck, als würde die Sonde langsam in einen Strudel hineingesogen.

Endlos dauert die Fahrt. Das helle Scheibchen, das ein Ende des Tunnels anzudeuten scheint, wächst ähnlich langsam wie vor einigen Tagen das Abbild der Sphäre vor dem Kugelsternhaufen im Hintergrund. Herb schaltet auf schnellen Vorlauf, aber auch so dauert es noch mehrere Minuten, bis wir sehen, wie die Sonde den Tunnelausgang wirklich erreicht.

Das unruhige Grau weicht abrupt einer gelblichen Helligkeit, als wir in schnellem Vorlauf in das Innere der Sphäre schießen. Herb stellt das Tempo zurück auf normale Geschwindigkeit. Die Sonde hat programmgemäß gestoppt. Die Orientierung fällt mir in den ersten Sekunden schwer. Erst als ich mir die Innenwand der Sphäre als deutlich gewölbten Boden vorstelle, klappt es.

Darüber schwebt am Himmel der weiße Zwerg als heller gelbweißer Punkt. Die andere Seite der Sphäre können wir nicht sehen. Dafür scheint die planetengroße Sonne im Zentrum zu hell. Ebenfalls irritierend finde ich den Wald aus Säulen, der – so weit die Kameras reichen – dem Licht entgegenstrebt. Die Stelen sind so hoch, daß wir ihre Enden nicht erkennen können. Welchem Zweck sie dienen, erschließt sich uns nicht.

Im Gegensatz zu den grauen Tunnelwänden erkennen wir jetzt aber wieder Farben. Die Innenseite der Sphäre ist deutlich erkennbar aus verschiedenen Metallen gefertigt. Es gibt auch transparente Bereiche, hinter denen sich Hohlräume in verschiedenen, pastelligen Farbtönen verbergen.

»Schau, dort wohnen die Bewohner dieser Sphäre wohl.«

Herb hat es zuerst erfaßt. Die Schwerkraft wirkt nach innen und was wir sehen, ist sozusagen der teilweise durchsichtige Fußboden des gigantischen Gebäudes, als das man die Sphäre begreifen muß. Wenn es hier Bewohner gibt, dann müssen sie dort leben.

Viel Zeit bleibt uns nicht, uns zu orientieren. Von irgendwo schießt plötzlich ein Greifarm heran und erfaßt die Sonde. Dann wird der Bildschirm schwarz.

»Wie kann all das in so kurzer Zeit geschehen sein?«

Ich habe meinen Partner selten so ratlos gesehen. Dabei weiß er sonst immer alles, das sich mathematisch errechnen läßt.

»Es gibt doch eine ganz einfache Lösung für das, was passiert ist. Genauer: es gibt sogar zwei!«

»Erzähl.«

»Die erste Möglichkeit ist, daß uns Zeit fehlt.«

»Das verstehe ich nicht. Was meinst Du damit.«

»Ich meine, daß die Zeit tatsächlich verstrichen ist, wir uns aber nicht an sie erinnern.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen, aber jetzt, wo wir wieder ein Kommunikationsfenster in den Hyperraum geöffnet haben, kann ich das prüfen.«

Er meint den Zeitserver, der die galaktische Standardzeit in alle Teile des bewohnten Universums übermittelt. Herb wischt kurz auf seinem Tablet herum und hat die Antwort.

»Okay, erste Hypothese verworfen. Uns fehlt keine Zeit.«

In diesem Augenblick wird der Bildschirm wieder hell. Wir sehen wieder das Innere der Sphäre. Der Greifarm verschwindet, so schnell, wie er erschienen ist. Die Sonde schwebt vor dem Ausgang des Tunnels, in den sie wieder eintaucht. Für die Rückfahrt drücke ich wieder auf schnellen Vorlauf.

»Siehst Du die Bordzeit der Sonde? Seit etwas sie ausgeschaltet hat, sind mehrere Tage vergangen.«

Herb ist mit der Situation sichtbar überfordert. So überfordert, daß er automatisch wieder damit beginnt, seine Tentakel um den Körper zu wickeln. Er lebt in einer Welt, in der die Naturgesetze absolut gültig sind und sich alles berechnen läßt.

»Damit kommen wir zur zweiten Möglichkeit, all das zu erklären: Die Zeit muß innerhalb der Sphäre anders vergehen als außerhalb.«

»Dazu bräuchte es ein schwarzes Loch oder zumindest eine große Masse in der Nähe.«

»Eine große Masse wie zum Beispiel einen Weißen Zwerg?«

Er scheint nachzudenken, denn er löst seine Tentakel wieder. Dann zeigen sie aber die Geste des Kopfschüttelns.

»Ein schlauer Einwand. Das geben aber weder die Naturgesetze noch die erweiterten Regeln her.«

Natürlich weiß er, daß Raum, Zeit und Masse auf eine kompliziertere Art zusammenhängen, als man es sich anschaulich vorstellen kann. Jede Spezies hat einmal im Verlauf ihres Werdens die Erkenntnisse gewonnen, die uns Menschen unter der allgemeinen und speziellen Relativitätstheorie bekannt sind. Die erweiterten Regeln sind der galaktische Terminus hierfür.

»Wenn es aber nur diese eine Erklärung gibt, dann muß sie doch richtig sein, oder?«

»Manchmal bewundere ich Deine Spezies für ihre Fähigkeit, die Regeln zu ignorieren, wenn sie ihnen nicht in den Kram passen.«

»Wenn Du eine bessere Erklärung hast, dann her damit.«

»Du machst es Dir wieder mal zu einfach. Was ist mit der Möglichkeit, daß wir noch nicht alles wissen?«

»Was könnten wir noch erfahren?«

»Zum Beispiel warum der Speicher der Sonde so voll ist. Einige Tage Telemetrie reichen dafür nicht aus. Dort ist Platz für mehrere Jahre.«

Er hat recht. Manchmal sind es die einfachen Dinge, die ich bei meinem Blick auf das große Ganze übersehe. Ich scanne die Speicherwürfel. Was ich finde, bringt uns zunächst nicht weiter.

»Das meiste sind keine Telemetriedaten. Es sind zwar eindeutig Daten. Nur das Dateisystem ist mir unbekannt. Es scheint… wow, es ist tatsächlich binär.«

»Bi-när?« echot Herb. Das Wort kommt im galaktischen Standard nicht vor.

»Eine sehr einfache Form der Datenspeicherung. Die Daten besitzen kein flexibles Speichersystem, sondern basieren auf den Zuständen Null und Eins.«

»Woher weißt Du solche Dinge?«

»Wir Menschen verwenden seit dem Erstkontakt ebenfalls das flexible System. Vorher haben wir aber ebenfalls binär programmiert.«

»Bi-när. Das ist doch archaisch. So unrationell.«

»Sag das nicht. Es gibt auf der Erde auch heute noch binäre Software. Eine Firma aus dem nördlichen Protektorat produziert ein Betriebssystem für einfache Heimcomputer, das auch heute noch binär kodiert ist. Sie sperren sich standhaft gegen eine Umstrukturierung, weil das System dann nicht mehr abwärtskompatibel wäre.«

»Ihr Menschen macht komische Dinge.«

»Sonst wüßte ich doch nicht…«

In diesem Augenblick geht mein Bildschirm aus. Ich tippe einige Male darauf herum, aber er bleibt tot. Weitere Bildschirme in der Umgebung folgen. Nach kurzer Zeit scheint die gesamte Analysephalanx offline zu sein.

Herb und ich blicken uns ratlos an. Eine Serie von Piepstönen ist zu hören. Dann startet der Phalanxrechner neu.

»Hast Du etwa die Daten der Sonde in den Rechner überspielt?« Herbs Stimme hat einen Unterton, der mir nicht gefällt.

»Natürlich. Das ist doch eine Standardprozedur für Telemetriedaten.«

»Das sind aber keine Telemetriedaten.«

»Willst Du andeuten, daß dieser Binärcode möglicherweise ausführbar ist?«

»Rede nicht so geschraubt. Wonach sieht es denn aus?«

»Warum haben dann die Firewalls nicht reagiert?«

»Weil es keine gibt. Der Phalanxrechner ist nur eine virtuelle Einheit, die vom Hauptcomputer simuliert wird.«

»Dann befindet sich dieser ausführbare Code also nicht im Hauptcomputer?« Mir fällt ein Stein vom Herzen.

»Zum Glück nicht. Da ist aber nicht Dein Verdienst. Paß beim nächsten Mal besser auf.«

»Dann bin ich gespannt, was der Code bewirkt.«

Lange Zeit bewirkt er gar nichts. Ich kenne das von unseren Personalcomputern. Sie sind zwar halbwegs schnell, aber die Startprozedur dauert eine gefühlte Ewigkeit. Das ist der Abwärtskompatibilität geschuldet. Jede neue Programmschicht stellt erst eine Verbindung zu den in der vorigen Instanz geladenen Programmen her, und Programmschichten haben sich über die Jahrtausende einige angesammelt.

Ob das hier vergleichbar ist? Ich weiß es nicht.

»Wenn es dumm kommt, hat der Code die Analyseeinheit zerschossen und wir müssen sie auf die Werkseinstellungen zurücksetzen«, orakelt Herb.

»Vielleicht wäre das sowieso das Schlauste. Vielleicht ist der Code bösartig.«

»Das glaube ich nicht. Wollte die Sphäre uns schaden, hätte sie uns einfach aus dem Orbit gepustet.«

Herbs trockener Kommentar zeigt mir, daß er unsere Differenzen derzeit als beigelegt ansieht. Ein neuer Signalton kündigt eine eingehendes Hyperraumgespräch an. Das Schiff hat mittlerweile wohl seinen Statusbericht zur Gesellschaft gefunkt und jetzt will jemand von denen mehr wissen.

»Ich übernehme im Funkraum«, sagt Herb. »Du überwachst bitte das … was immer dort geschieht.« Er verschwindet durch das Schott. »Faß bitte nichts an, bis ich wieder da bin«, höre ich noch.

Viel zu überwachen gibt es nicht. Immerhin erwacht mein Bildschirm nach kurzer Zeit wieder zum Leben und zeigt mir eine Art Fortschrittsbalken in einem so dunklen Rot an, daß ich ihn zuerst gar nicht als solchen erkenne. Erst als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnehme, fällt er mir auf.

Wenig später kommt mein Partner zurück. Das Zittern seiner Tentakelspitzen signalisiert Streß.

»Wir sollen zurückkommen, sobald wir startbereit sind. Auf der Sternbasis wartet bereits unsere Ablösung.«

»Das bedeutet?«

»Daß wir gefeuert sind. Ich glaube die interessiert gar nicht mehr, was diesmal schiefgelaufen ist. Sie wollen nur noch das Schiff zurück.«

»Klingt als sollten wir uns noch etwas Zeit lassen, bis wir startklar sind.«

»Ich habe nach diesem Gespräch auch nicht das Bedürfnis, mich sonderlich zu beeilen. Ich habe noch nie mit einer derart unangenehmen Spezies zu tun gehabt. Sogar die Sprachausgabe war synthetisch.«

Das ist eigentlich nichts Besonderes. Viele intelligente Lebensformen besitzen nicht die Möglichkeit, sich über Schallwellen zu artikulieren und müssen auf eine künstliche Sprachausgabe zurückgreifen, wenn sie sich in galaktischem Standard verständigen wollen. Ich vermute, daß während des Gespräches noch mehr geschehen ist, er mit mir aber nicht darüber reden will.

In diesem Augenblick verschwindet der Fortschrittsbalken auf meinem Bildschirm und wird durch ein animiertes Piktogramm ersetzt, das sich auf komplizierte Weise immer wieder in sich selbst verschlingt.

»Scheint eine Art Pausenzeichen zu sein.« Herb hat sich wieder beruhigt und seine Tentakelspitzen zittern nicht mehr.

Das Piktogramm verschwindet nach einer Weile und wird ersetzt durch eine Reihe fremdartiger Schriftzeichen. Sie bilden auf dem Bildschirm ein Sechseck. Verständnislos starren wir auf das Bild. Erst nach einigen Sekunden wird uns klar, daß es sich bei den Schriftzeichen um Wortglyphen in galaktischem Standard handelt. Die Anordnung im Sechseck macht es ungewöhnlich schwierig, ihre Bedeutung zu verstehen.

Herb kapiert sie als erster. »Da steht: ‘WIR SIND FERN. WIR WOLLEN REDEN.’«

»Wie kommst Du darauf? Ich lese ‘WIR REDEN FERN. WOLLEN SIND WIR.’«

»Du liest sie falsch herum. Die Sätze bilden zwei Dreiecke, die gegeneinander verschoben sind.«

Jetzt erkenne ich das Muster, das er meint. Auf der antiken Erde gab es dafür ein Symbol namens Davidstern.

»Bist Du sicher, daß es keine andere sinnvolle Kombination gibt?«

»Natürlich.« Wie ich ihn kenne, hat er bereits alle durchgerechnet.

»Und wie antworten wir?«

»Schreib etwas.«

Ich komme mir vor wie ein Schuljunge, als ich unseren Antwortsatz eingebe: ‘WIR SIND SEHR NEUGIERIG, WER IHR SEID.’

Ich drücke die Eingabetaste. Ein lauter Mißton erklingt, aber das, was ich geschrieben habe, erscheint nicht auf dem Bildschirm.

»Was habe ich falsch gemacht?«

»Versuch mal, in Sechsergruppen zu schreiben.«

Ich schreibe ‘WIR SIND NEUGIERIG. WER SEID IHR?’.

Ein anderer Ton ist zu hören. Er klingt wie ein Quittungston. Die Schriftzeichen erscheinen eins nach dem anderen auf dem Bildschirm und bilden ein zweites Sechseck, und zwar in genau der Reihenfolge, wie Herb es vorhergesagt hat. Er ist schon genial auf seine Art.

»Dann haben sie wohl einen Fetisch für die Zahlen drei und sechs«, kommentiere ich.

»Ich denke, daß diese Denkweise ihrer Körpersymmetrie entspricht. Deswegen denkt ihr Menschen ja nur bi-när.«

»Denkt ihr denn quaternär?« frage ich in Hinblick auf seine vier Arme, Beine und Augen.

»Qua-ter-när? Wenn es das heißt, was ich denke, stimmt es. Unsere Mathematik basiert auf den Zahlen vier und sechzehn.«

Die Antwort erscheint in diesem Moment auf dem Bildschirm. Sie lautet: ‘WIR SIND INNEN. WIR ERWARTEN EUCH.’

»Sie wollen also, daß wir sie besuchen.«

»Warg Bolton mit seinem Fetisch für das Offensichtliche.«

Herb kann anscheinend auch ironisch sein. Zu seinen hervorstechenden Eigenschaften gehörte es bisher nicht. Ist das nun gut oder schlecht? Ich beschließe, das zunächst zu ignorieren.

»Wie stellen die sich das vor? Den Tunnel für die Sonde können wir jedenfalls nicht benutzen.«

Als hätte der Rechner die Frage gehört, erscheint auf dem Bildschirm ein weiteres Sechseck.

‘NEHMT DAS SHUTTLE. WARTET AM LANDEPUNKT.’

»Da hast Du Deine Antwort.« Herb gibt ein blubberndes Geräusch von sich, so als würde er gerade mit dem Inhalt des Putzeimers gurgeln. Vielleicht ist das eine Art von Lachen.

»Was wollen wir tun? Der Einladung folgen?«

»Hast Du etwas Besseres vor?« Wieder erklingt der Putzeimer. »Etwas spannenderes werden wir in den nächsten Jahren nicht mehr erleben.«

Er hat recht. Was mir blüht, wenn ich zu meiner Familie heimkehre, kann ich mir lebhaft vorstellen. Schwiegervater wird seinen Einfluß nutzen, um unsere Ehe annullieren zu lassen, wie ich ihn einschätze. Was habe ich also zu verlieren? Ich nicke Herb zu und schreibe die Antwort:

‘WIR BESUCHEN EUCH GERNE. WIR BENÖTIGEN NUR ETWAS ZEIT. DANN KOMMEN WIR.’

Ein doppelter Quittungston erklingt und zwei neue Sechsecke malen sich auf den Bildschirm. Die Antwort kommt prompt:

‘IHR SEID WILLKOMMEN. ZEIT IST IRRELEVANT.’

Der Bildschirm wird wieder schwarz. Nach einer Reihe Piepstönen startet der Phalanxrechner neu und erscheint mit der gewohnten Arbeitsoberfläche, als wäre er niemals offline gewesen. Herb und ich sehen uns verdutzt an.

»Haben wir das gerade geträumt? Und was haben sie mit dem letzten Satz gemeint, daß Zeit irrelevant wäre?«

»Das bedeutet sicher nur, daß sie da schon eine sehr lange Zeit drin sind und sich langweilen.« Herb versucht wieder den Eindruck zu erwecken, als wüßte er schon alles.

»Wenn die Zeit wirklich irrelevant ist, haben sie bestimmt nichts dagegen, wenn wir vorher noch schlafen und uns frischmachen.«

»Wozu? Ich bin doch frisch. Neuer Anzug, Du erinnerst Dich?«

»Aber ich nicht. Eine Schlafperiode oder zwei?«

»Zwei.«

Zwölf Stunden später treffen wir uns auf der Brücke wieder. Das Schiff befindet sich noch im Wartungsmodus und die meisten Vorgänge laufen automatisch ab. Herb schreibt noch einige Routinen und dann geht es los.

»Ich glaube nicht, daß wir hier in den nächsten Hunderttausend Jahren Besuch von außen zu erwarten haben.«

Herb kommentiert staubtrocken, aber goldrichtig. Wir laden etwas Gepäck in den Stauraum und ich kopiere die Wissensdatenbank des Schiffes – viel ist es ja nicht – in die Speicher des Shuttles. Es ist sogar noch Platz für die Karten dieses Galaxiequadranten. Dann starte ich die Triebwerke und Herb läßt die HARKONNEN die Außenluke des Shuttleraums öffnen.

Meter um Meter manövriere ich uns heraus und umkurve einige Metallteile, die in der Hitze des Überriesen geschmolzen sind und jetzt über den Lukenrand ragen. Dann sind wir draußen und sehen die Bescherung zum ersten Mal mit eigenen Augen und nicht gefiltert durch die Kameras einer Sonde.

Das Schiff hat ordentlich einstecken müssen. Es ähnelt derzeit noch stärker einem zusammengeschmolzenen Haufen Altmetall als sonst und die wie Luftballons geplatzten Aufbewahrungseinheiten für unsere gefangenen Gäste verbessern seine Optik nicht.

Doch darum sollen sie sich in der nächsten Raumstation kümmern. Ich fliege unser Shuttle die kurze Strecke zu der Stelle, wo sich der Tunnel für die Sonde geöffnet hatte, und gehe in Warteposition. Kaum sind wir angekommen, öffnet sich vor uns ein Tunnel in für uns angemessener Größe. Ich will gerade die Motoren starten, da bemerke ich, daß uns eine unsichtbare Kraft bereits hineinzieht.

»Wir bekommen einen Autopiloten«, warne ich meinen Partner vor.

»Hoffentlich ist er so gut wie Du. Ich möchte keine Bekanntschaft mit den Tunnelwänden machen.«

Das ist das größte Kompliment, das ich je aus Herbs Kommunikationsmund gehört habe. Mir läuft tatsächlich ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Der weicht aber schnell einem unangenehmen Gefühl, je tiefer wir in den Tunnel eintauchen. Ein wenig fühlt es sich an, wie das Eintauchen in den Hyperraum, nur daß es länger andauert. Meine Haut beginnt zu kribbeln und fühlt sich heiß an. Die Hitze breitet sich nach innen aus. Es fühlt sich an, als hätte ich hohes Fieber.

»Spürst Du das auch?«

»Stimmt, mir ist plötzlich nicht mehr so kalt wie sonst in Deiner Nähe.«

»Freut mich, daß Du endlich meine freundliche Ausstrahlung zur Kenntnis nimmst.« Sarkasmus kann ich auch.

»Hoffentlich ist es bald vorbei, sonst erlebst Du, wie Wasabufleisch aussieht, wenn es halb verdaut ist.«

Dieses Erlebnis bleibt mir zum Glück erspart. Anscheinend wurde unser Shuttle im Tunnel beschleunigt, denn plötzlich schießen wir mit hoher Geschwindigkeit auf der anderen Seite in die Sphäre hinein.

»Ausweichen!«

Vernehme ich da Panik in Herbs Stimme? Zum Glück erinnere ich mich an die Sondentelemetrie und schaffe es, zwischen den Säulen hindurchzukurven. So hoch, wie es auf den Sondenbildschirmen aussah, sind sie dann auch nicht. Schon nach einigen hundert Metern schweben wir über der Konstruktion. Ich bremse uns ab und wende das Shuttle, so daß wir wieder auf die Innenseite der Oberfläche blicken. Ich habe mir die Telemetrie in meiner Kabine ein dutzend Mal angesehen und erkenne schnell die Einzelheiten.

Die Fremden kommunizieren wieder. Diesmal aber klassisch per Funk.

‘IHR MACHT NICHTS. WIR LANDEN EUCH.’

Ich nehme die Finger von den Kontrollen und tatsächlich bewegen wir uns von selbst weiter. Traktorstrahlen sind auch heute noch Science Fiction, aber irgendwie schaffen es die Fremden dennoch, das Shuttle von außen zu manövrieren, ohne ihre Greifarme zu Hilfe nehmen zu müssen. Langsam driften wir über den Wald aus Stelen. Nach einigen Minuten erreichen wir einen kreisrunden, freien Bereich, auf dem sich podestartige Strukturen befinden, die ich mangels besseren Wissens als Gebäude identifiziere.

In der Mitte befindet sich auf solch einem Podest eine runde, dunkelrote Fläche. Auf den Bildschirmen sieht es aus, als bewegten wir uns hinab. Die Schwerkraft zieht aber unverändert in die andere Richtung, also ist es wohl so, daß wir aufwärts auf die Schale zufliegen.

Auf seiner Oberfläche erscheint eine Öffnung. Wir fliegen langsam hinauf/hindurch und halten dann. Die Öffnung schließt sich unter uns so paßgenau, daß wir präzise auf der Platte stehen, als die Kräfte, die unser Schiff bewegen, plötzlich abgeschaltet werden. Ich hätte einen Ruck erwartet, denn um einige Zentimeter verschätzt sich auch der beste Pilot mal.

»Das war die eleganteste Landung, die ich je erlebt habe.« Ich kann meine Überraschung über die Technik der anderen nicht verbergen.

Wir befinden uns nun im runden Innenraum des Podests in einer viele Meter hohen Kammer. Rundherum sind die Wände transparent, so daß es ziemlich hell um uns herum ist.

‘WILLKOMMEN. BITTE WARTEN. WIR SYNTHETISIEREN ATMOSPHÄRE.’

Fasziniert beobachten wir, wie aus Düsen in der Decke Nebel ausgestoßen werden und sich langsam auf uns herabsenken.

»Sag mal, unsere Atmosphäre ist doch nicht gelbgrün. Die werden doch nicht glauben, daß wir Chloratmer sind?«

Herb hat recht. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich sende einen Funkspruch nach draußen: ‘STOP! FALSCHE ATMOSPHÄRE! STICKSTOFF UND SAUERSTOFF.’

Eine Antwort erhalten wir nicht, aber nach wenigen Sekunden schließen sich die Nebeldüsen und es erscheinen Löcher, die die falsche Atmosphäre wieder einsaugen. Nach einigen Minuten befindet sich um das Shuttle herum wieder ein Vakuum.

Ich sende noch ein ‘ACHTZIG PROZENT STICKSTOFF, ZWANZIG PROZENT SAUERSTOFF’ hinterher. Diese Mischung atmen wir auch auf der HARKONNEN. Sie bildet einen guten Kompromiß für alle Sauerstoffatmer.

‘LEBEN AUF SAUERSTOFFBASIS? EIN INTERESSANTES KONZEPT. WIR BENÖTIGEN ZEIT, SAUERSTOFF ZU PRODUZIEREN.’

»Anscheinend können wir unsere neuen Freunde doch noch überraschen.« Wir haben das Unwohlsein durch die Tunnelpassage überwunden und Herb ist wieder ganz der Alte.

»Warum ist denen eigentlich unsere Körperchemie fremd?« frage ich meinen Partner.

»Was sie über uns wissen, befand sich im Computer der Sonde. Das reicht, um galaktisches Standard zu lernen und einiges über unsere Technik. Mehr aber nicht.«

Ich nicke. So besehen, ist es ganz logisch. Die Funkverbindung nach draußen ist stumm und bleibt das auch für die nächsten Stunden. »Wenn denen Zeit nichts bedeutet, kann ich auch so lange ein Schläfchen machen«, witzele ich.

»Gute Nacht. Ich verstehe nicht, wie Du in dieser Situation schlafen kannst.«

Ich lege mich im Fonds des Shuttle auf eine Liege und döse ein wenig. Zuhause auf der Erde, mit Nele und zwei schreienden Kindern im Nebenzimmer lernt man, in jeder Situation zu schlafen. Noch ein Grund, nicht zurückzukehren.

Ich muß wohl doch fest eingeschlafen sein und erwache durch das intensive Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen. Schlaftrunken ziehe ich mir einen Kaffee und stolpere auf die Brücke.

»Da bist Du ja. Ich sende Dir schon seit einer ganzen Weile Signale zum Aufwachen. Wir haben Besuch.« begrüßt mich Herb.

»Du sendest was?«

»Ich habe Dir ein Gefühl geschickt. Unsere purpurfarbenen Freunde müssen meine empathischen Sendefähigkeiten verstärkt haben. Die funktionieren sonst nur mit Angehörigen unserer eigenen Rasse. Am besten klappte das immer mit meinem Couffeder. Wir besaßen beinahe eine telepathische Verbindung.«

»Dein Kuff… ach was soll’s.« Ich versuche am besten gar nicht erst, alles zu verstehen, was er sagt. Dazu genügt mein Koffeinspiegel noch nicht. Ich schaue lieber durch die Fenster nach draußen. Durch die Düsen an der Decke strömt wieder eine neblige Atmosphäre. Diesmal ist sie aber farblos.

»Ist atembar. Ich habe eine Probe genommen. Ist nur noch etwas kalt draußen. Unter dreihundert Kelvin.«

Für mich klingt das gemütlich. Ich sehe mich genauer um und bemerke Bewegungen um uns herum. Aus einem Schlauch, der von der Decke herunterreicht, vermutlich ein Lift, sind zwei Personen ausgestiegen und bewegen sich auf uns zu. Zuerst sehen sie aus, wie die Wagenradwesen, die wir vor der Katastrophe transportiert haben. Dann wachsen ihnen aber plötzlich Arme und Beine und je näher sie uns kommen, desto ähnlicher werden sie uns.

»Wow, eine metamorphe Lebensform!«, staune ich.

»Ich wäre mit der Bezeichnung ‘Lebensform’ vorsichtig.«

»Eine Deiner Intuitionen?«

»Präzise. Ich empfange von ihnen nämlich nichts.«

»Und das bedeutet genau… was?«

»Das ist doch ganz logisch. Wenn das hier wirklich so alt ist, wie Du vermutet hast, glaube ich nicht, daß wir hier noch Leben antreffen. Fleischbasiertes Leben meine ich.«

»Du meinst, das sind Roboter?«

»Ich weiß nicht, was sie sind. Sei einfach offen.«

Ich bin offen. Ich bin sowas von offen. Der Außendruck liegt mittlerweile auf Innenniveau, so daß wir uns in die Schleuse begeben, die Außentüre unseres Gefährts öffnen und vorsichtig ohne Schutzanzug nach draußen schnuppern. Die Luft riecht scharf und metallisch, wahrscheinlich von den letzten Resten der vorherigen Atmosphäre, ist aber atembar. Dennoch werde ich die Schleuse nicht ganz öffnen und diese Luft ins Schiff lassen.

Wir gehen aufeinander zu und bleiben einige Meter entfernt voneinander stehen. Die Physiognomie der anderen verändert sich immer noch. Der eine, der mir gegenübersteht, entwickelt Gesichtszüge und sieht zunehmend menschlich aus. Der andere bemüht sich, so auszusehen wie Herb. Ihm wachsen Tentakel und seine Körperform wird massiger.

»Willkommen auf AZEER«, sagen beide synchron in galaktischem Standard.

»Datenbanken werden eingebunden. Unser Netzwerk lernt. Lernt eure Sprachen.«

»Danke«, antworte ich. »Das ist sehr freundlich. Es fällt uns auch schwer, euch zu folgen, wie ihr eure Sätze in Dreiergruppen aufteilt.«

»Dreiergruppen sagst Du…«, mein Gegenüber zögert, »Jetzt verstehe ich. Ihr denkt anders.«

»Genau.«

»Verstehe… verstehe…« Mein Gegenüber fällt plötzlich in eine Starre, als wäre er eingefroren. Das dauert aber nicht lange. Schon bald spricht er weiter, von nun an flüssig und ohne diesen stolpernden Dreierrhythmus. »Wir glauben, es ist einfacher, wenn wir uns euch anpassen als umgekehrt. In eurer Welt gibt es viele Sprachen. Die Sprache, in der ihr euch untereinander verständigt, ist sehr einfach strukturiert. Wir werden in die Sprachen wechseln, die ihr am besten sprecht.«

Ich nicke. Dann fällt mir auf, daß sie unsere Gesten nicht verstehen können und schiebe ein »Ja, das würde uns freuen!« hinterher, nachdem ich einen Blick mit Herb gewechselt habe. Unsere Gegenüber sehen mittlerweile aus wie Doppelgänger von uns. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt, mich mit meinem Zwilling zu unterhalten.

»Dann ist das beschlossen.«

Mein Gegenüber wechselt ansatzlos in terranisches Hochenglisch, eine Sprache, mit der ich aufgewachsen bin und die jeder Erdbewohner zumindest als Fremdsprache spricht, und Herbs Gegenüber gibt parallel kehlige Laute von sich, die in der Sprache von Herbs Spezies wohl das gleiche bedeuten.

»Auch diese Sprachen besitzen nur einen begrenzten Wortschatz. Einige zehntausend Wörter müssen aber für eine grobe Verständigung genügen.«

Für einige Sekunden irritiert mich Herbs Gegenüber, der sich anhört wie ein Maschinengewehr mit Schluckauf. Ich schaffe es aber schnell, das auszublenden und konzentriere mich auf das menschlich aussehende Wesen. Herb scheint dieses Problem nicht zu haben. Vermutlich funktionieren seine Filtermechanismen besser als meine.

»Ich verstehe. Je komplexer die Sprache, desto besser funktioniert die Verständigung«, antworte ich. »Was ist das für ein Netzwerk, in das ihr unsere Datenbanken eingebunden habt?«

»Das Netzwerk sind wir.«

»Was bedeutet das?«

Mein Gegenüber fällt wieder für eine kleine Weile in Starre. Anscheinend habe ich mit dieser einfachen Frage bereits unsere Verständigung gesprengt. Schließlich antwortet er langsam.

»Das Netzwerk ist alles, was Du hier siehst. Jedes Teil gehört dazu und erfüllt seinen Zweck. Wir sind verbunden mit elektromagnetischen… und anderen Wellen. Alles ist eins.«

Für mich hört sich das an, als beschreibt er eine sehr komplizierte Version unseres Schiffes. Dort ist schließlich auch alles mit allem verbunden.

»Bedeutet das, daß die gesamte Sphäre Teil dieses Netzwerkes ist?«

»Die Sphäre, wie Du sie nennst, ist das Netzwerk. Wir sind AZEER.«

Ich verstehe, was er meint, auch wenn ich die Dimension dieser Antwort kaum glauben kann. Demnach scheint die ganze Sphäre ein einziger, riesiger Computer zu sein. Wenn das wirklich stimmt, dann gibt es im gesamten Universum nichts Vergleichbares. Ich wechsele einen Blick mit Herb. Die Gesten, die er mir mit seinen Tentakeln macht, drücken ebenfalls Skepsis aus.

»Das bedeutet, Du bist AZEER, er ist AZEER«, dabei zeige ich auf das Wesen gegenüber von Herb und mache dann eine ausladende Geste rund um uns herum, »und all das ist auch AZEER?«

»Wir sind eins.«

Okay, sie sind also eins. Sieht aus, als behielte Herb mit seinem Orakeln recht.

»Ihr habt uns Wissen mitgebracht. Dafür danken wir euch. Die Galaxis sieht in eurer Zeit völlig anders aus als in unserer.«

»Was bedeutet ‘in eurer Zeit’?« Anscheinend gibt es immer noch Verständnisschwierigkeiten.

»Eure Zeit… wird berechnet… dreizehnkommaacht Milliarden Jahre Deiner Spezies, unsere Zeit… fünfkommafünf Milliarden Jahre nach dem Ereignis, an dem alles begann.«

»Du meinst den Urknall?«

»So nennt ihr es.«

»Wie nennt ihr es?«

»Die Raumschleife.«

Jetzt geht mir auf, was mein Gegenüber da gerade gesagt hat.

»Soll das bedeuten, daß wir mehr als acht Milliarden Jahre in die Vergangenheit gereist sind? Das glaube ich nicht.«

»Folgt mir.« Unsere Gastgeber entfernen sich mit uns ein Stück vom Shuttle. Dann materialisiert sich plötzlich eine holographische Karte um uns herum. »So sieht es heute aus. Überzeugt euch selbst.«

Verwirrt sehe ich mich um. Als erstes entdecke ich den Kugelsternhaufen. Strahlend hell steht er in der Schwärze des Raums, viel heller als ich ihn in Erinnerung habe. Dann sehe ich den Unterschied. Die meisten Sterne sind blau und gelb, nicht rötlich, wie heute. Größere, etwas verwaschene Bereiche zeugen sogar von aktiver Sternentstehung.

»Das ist fantastisch.« Mehr bekomme ich nicht heraus.

Dann drehe ich mich um. Auf der anderen Seite müßte sich die Milchstraße befinden. Da wir leicht außerhalb der galaktischen Ebene gestrandet sind, blicken wir schräg auf… ja was denn eigentlich? Das ist nicht die vertraute Spirale mit dem hellen Kern aus meiner Erinnerung. Die Spiralarme sind viel kleiner, eigentlich kaum ausgebildet. Der Kernbereich ist größtenteils von Staubwolken verdeckt und strahlt sehr hell an den wenigen Stellen, wo der Durchblick frei ist. Ein Jet aus heißem, ionisiertem Gas schießt senkrecht heraus. Rundherum befinden sich dutzende kleinerer Galaxien und Sternhaufen. Alle schimmern sie bläulich und die meisten besitzen eine irreguläre Form.

»So sah es also früher hier aus.« Herb redet in galaktischem Standard zu mir. »Ich kenne einige Kosmologen auf unserem Planeten, die ihr Geschlecht dafür geben würden, um das hier zu sehen.«

»Ihr was? Ach, schon gut.« Das geht wieder über meinen Verstand, wie so vieles heute.

»Für AZEER ist es genau so faszinierend, zu sehen, wie sich all das hier entwickeln wird.« Mein Zwilling redet wieder englisch und Herbs Gegenüber tut vermutlich selbiges.

»Wie schafft ihr das, ein Tor in eine so ferne Zukunft zu öffnen?«

Mein Gegenüber friert wieder kurz ein. Dann sagt er: »AZEER hat eure kognitiven Fähigkeiten analysiert. Ihr seid nicht in der Lage, die Antwort zu begreifen.«

Ein Kompliment ist das nicht, aber es ist vermutlich wahr. Ich versuche es anders.

»Warum macht ihr das? Warum habt ihr uns geholt?«

»Weil ihr angeklopft habt.«

»Wie konntest Du uns hören, durch neun Milliarden Jahre?«

»Ihr seid nicht in der Lage, die Antwort zu begreifen.«

»Laß gut sein.« Herb stupst mich mit einem Tentakel in die Seite. »Ich frage jetzt.«

Es paßt mir nicht, aber mir fallen gerade nur diese warum-Fragen ein. Also überlasse ich Herb das Feld.

»Wir würden gern eure Geschichte wissen. Woher stammt ihr und wie habt ihr euch zu dem entwickelt, das ihr heute seid?«

»Ihr seid nicht in der Lage…«

»Doch, das sind wir«, unterbricht Herb ihn, »wenn ihr uns nur die Details erzählt, die wir verstehen.«

Beide Gegenüber frieren wieder ein. Dann sagen sie synchron:

»Wir handeln, wie ihr sagt. AZEER erzählt, was ihr wissen wollt. Es fehlen aber viele wichtige Fakten.«

»In Ordnung.«

Aus dem Boden vor mir wächst etwas, das wie eine Art Liegestuhl aussieht. »Unsere Erzählung wird eine Weile dauern. Wir haben die körperlichen Grenzen Deiner Spezies analysiert. Eure Konzentration leidet, wenn ihr lange stehen müßt.«

Ich setze mich und komme halb liegend zur Ruhe. Auch Herb erhält eine Konstruktion, die der Halterung ähnelt, die er auf der Brücke benutzt. Neben uns wachsen Podeste, auf denen sich Schalen mit einer klaren Flüssigkeit befinden. Das Design der Behälter haben sie offensichtlich von den Behältern für Erbrochenes in der Nische abgenommen, in der sich auf dem Shuttle die Krankenstation befindet.

»Es ist Wasser«, sagt mein Doppelgänger, »mit einigen gelösten Komponenten, die zu eurer Körperchemie passen.«

Ich nippe vorsichtig an meinem ‘Glas’ und es schmeckt tatsächlich ausgezeichnet. Säuerlich und belebend mit einer Note von …

»Das ist gut. Sagt mal, ist da Alkohol drin?«

»Was bedeutet Alkohol in diesem Kontext?«

»Ich meine Ethanol.«

»Ein zwanzigster Teil. Eure Datenbank sagt, daß sich Teile eurer Kultur davon ernähren.«

Ich nehme einen großen Schluck, verschlucke mich und benötige eine kleine Weile, um mich wieder zu fassen. Dann trinke ich den Behälter aus.

»Mehr davon.«

Aus dem Nichts füllt sich der Spucknapf wieder. Auch Herb ist mit seinem Getränk sichtbar zufrieden. Seine Tentakelspitzen zittern auf eine Weise, die ich bisher nur ein einziges Mal gesehen habe, als ich ihn heimlich beim Konsumieren eines seiner Pornos beobachtet habe.

Das holographische Galaxienpanorama um uns herum zieht sich zusammen auf die Größe einer Kinoleinwand, die wir von unseren Sitz- oder Liegegelegenheiten mühelos beobachten können. Dann beginnt die zweisprachige Simultanerzählung: …


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